Hanna Fülling

Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen

Ein aktuelles religionspolitisches Thema und seine historischen Linien

Das Verhältnis von Staat und Kirche weist nicht nur eine lange und spannungsvolle Beziehungs-, sondern auch eine intensive Trennungsgeschichte auf. Der Prozess der Lösung von Kirche und Staat fand in Deutschland erstmalig mit der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 verfassungsrechtlichen Ausdruck. Wichtige Bestandteile des heutigen Religionsverfassungsrechts sind aus der WRV in das Grundgesetz (GG) übernommen worden. Dazu zählt auch der Artikel 138, der besagt, dass „die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften … durch die Landesgesetzgebung abgelöst [werden]. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“

Dass dieses Ablösegebot bislang nicht vollzogen wurde, steht einem Staat, der zwar eine kooperative Zusammenarbeit mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften pflegt, diese aber auf einer klaren Trennung von Staat und Religion begründet, nicht gut an und bietet religionskritischen Perspektiven eine Angriffsfläche. So hat etwa Carsten Frerk in seinem im Jahr 2010 erschienenen „Violettbuch Kirchenfinanzen“ scharfe Kritik an den Staatsleistungen geübt.1  Seine Programmatik wurde von dem damals frisch gegründeten Koordinierungsrat säkularer Organisationen e. V. (KORSO) begleitet und diente diesem als Grundlage für seine erste Kampagne „Jetzt reicht’s! Staatsleistungen an die Kirchen ablösen!“2. Seitdem hat die Forderung auch politische Karriere gemacht.

Die Bundestagsfraktion der Linkspartei brachte 2012 einen Gesetzentwurf über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleitungen an Religionsgesellschaften (Staatsleistungsablösungsgesetz – StAblG)3  in den Bundestag ein, fand mit der darin enthaltenen Forderung, die Ablösesumme in Höhe des Zehnfachen der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes gezahlten Jahresbetrages4  zu beziffern, jedoch keine Zustimmung. 2015 stellte die Fraktion der Linkspartei einen weiteren Antrag, in dem sie die Einrichtung einer Kommission beim Bundesministerium der Finanzen zur Evaluierung der Staatsleistungen5  forderte, doch auch dieser Entwurf wurde bei Enthaltung der Grünen-Bundestagsfraktion von den übrigen Fraktionen abgelehnt. Die Bundesregierung hatte ihre Zurückweisung bereits zuvor in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linkspartei dargelegt6  und darin deutlich gemacht, dass nach ihrer Auffassung „auf Seiten des Bundes weder Handlungsbedarf für die Bildung einer solchen Kommission noch für den Erlass eines Grundsätzegesetzes des Bundes“ bestehe.

Dadurch wurde die Diskussion über die Ablösung der historischen Staatsleistungen an die Kirchen jedoch nicht beendet. Am 13. März 2020 stellten die Fraktionen von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ihren interfraktionell und unter Einbeziehung der Kirchen erarbeiteten Gesetzentwurf für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen im Rahmen der Bundespressekonferenz vor.7  Am 5. November wurde der Entwurf im Plenum diskutiert und erhielt im Grundsatz auch von den Fraktionen der regierenden Parteien CDU/CSU und SPD viel Zustimmung.

Die Erfüllung eines seit über 100 Jahren bestehenden Verfassungsauftrags wird damit erneut greifbar. Doch was genau steckt hinter dieser Ablöseforderung? Aus welchen historischen Begebenheiten gehen die Staatsleistungen hervor? Welche Typen von Staatsleitungen gibt es, wie hoch sind sie, und wofür werden sie verwendet? Welche Bedeutung haben sie für die Kirchen? Was bedeutet ihre Ablösung für das Verhältnis von Staat und Kirche? Sind auch andere Religionsgemeinschaften davon betroffen? Und warum wurde das Ablösegebot bislang nicht umgesetzt? Entlang dieser Fragen wird im Folgenden ein vertiefender Blick auf die Thematik der historischen Staatsleitungen geworfen.

Ursprünge der Staatsleistungen in reformatorischer Zeit

Im Grundgesetz werden als Staatsleistungen die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Zahlungen der Länder an die Kirchen bezeichnet. Diese Formulierung gibt einen Hinweis auf die historischen Prozesse, welche den Staatsleistungen zugrunde liegen. Die historischen Staatsleistungen sind Zahlungen an die Kirchen, welche zum Ausgleich für kirchliche Vermögensverluste durch vorangegangene Enteignungen und Umwidmungen, die sogenannten Säkularisationsprozesse, entrichtet werden.

Die historischen Linien des Grundgesetzartikels reichen viele Jahrhunderte zurück. Im Zuge der Reformation entstanden in Gebieten, die sich ihr anschlossen, Fragen zur Verwendung von verwaisten Kirchengütern, insbesondere zur Verwendung von Klöstern. Martin Luther steuerte zu diesen Fragen 1525 seine „Ordnung eines gemeinen kastens. Radschlag, wie die geistlichen güter zu handeln sind“ bei. Er legte darin „die Nutzung der Feldklöster durch den Landesherren [fest], während in den Stadtklöstern die Gebäude und Einkünfte zur Errichtung von Schulen bestimmt wurden. Die Obrigkeit sollte für die zurückbleibenden Mönche sorgen und den Rest der Güter und Einkünfte in einen ‚gemeinen Kasten‘ stiften. Aus ihm sollten Bedürftige und Arme unterstützt werden.“8  Diese Ordnung gilt heute nicht nur als die älteste evangelische Sozialordnung, sondern war auch richtungsweisend für die Ausgestaltung der folgenden Säkularisationsprozesse.

Als rechtliche Grundlage diente den Landesfürsten der Reichstag zu Speyer im Jahr 1526, der alle Entscheidungen zu Religionsfragen aufschob, den Fürsten in der Zwischenzeit aber freie Hand ließ und sie damit auch zur Säkularisation berechtigte. Damit wurden Machttendenzen begünstigt, die sich bereits in vorreformatorischer Zeit abgezeichnet hatten.9

Das Vorgehen der Fürsten erhielt durch den Augsburger Religionsfrieden 1555 juristische Legitimation. Es wurde eine rechtliche Ordnung bestimmt, auf deren Grundlage die Koexistenz der Konfessionen nach dem Zusammenbruch der religiösen Einheit des Reiches geregelt wurde. Ihr lag das Prinzip des ius reformandi zugrunde, dessen Bestimmung durch den Begleitsatz „cuius regio, illius religio“ (wes der Fürst, des der Glaub) deutlich wird. Die entstehenden evangelischen Kirchen wurden als Landeskirchen mit dem Kirchenregiment des Landesherrn ausgebildet und galten so in einem weiteren Sinn als Teil der jeweiligen Herrschaft.10  Dem Landesherrn kam sowohl die weltliche als auch die geistliche Entscheidungsgewalt zu. Er war demnach auch für die Pfarrstellenbesetzung und die Verwaltung des Kirchenguts zuständig.11  Durch den Augsburger Religionsfrieden wurde die obrigkeitliche Bestimmung von Religion somit nicht aufgebrochen, sondern auf der Ebene der Territorien festgeschrieben. Die Besitztümer der Religionsparteien wurden im Augsburger Religionsfrieden gegen Vereinnahmung durch die andere Seite gesichert.12  Zugleich bedeutete die Übernahme des gesamten kirchlichen Bereichs sowie der Verfügungsgewalt über das Kirchengut durch die evangelischen Landesfürsten eine deutliche Machterweiterung der weltlichen Gewalt.

Ähnliche machtpolitische Entwicklungen zeichneten sich auch in den katholischen Gebieten ab. Die katholische Kirche hatte durch das ius reformandi beträchtliche Teile ihres Besitzstandes eingebüßt, was den staatlichen Einfluss auf die Kirche begünstigte. Obgleich das Papsttum verhinderte, dass der katholische Landesherr formell die gleiche Stellung einnahm wie der evangelische, wurde die Kirchengewalt als Teil der weltlichen Herrschaftsrechte angesehen, sodass auch hier der Landesherr beanspruchte, die kirchliche Autorität im staatlichen Interesse zu kontrollieren.13

Die weltliche Machterweiterung über die Kirche schlug sich nicht selten in Säkularisationsprozessen nieder. Im albertinischen Sachsen etwa ließ Herzog Georg Visitationen zur Erfassung von Kirchengütern durchführen und stellte die Kostbarkeiten in Städten, Ämtern oder bei Adligen vor Unruhen sicher.14

Der Reichsdeputationshauptschluss

Ihren Höhepunkt erreichten die Säkularisationsprozesse allerdings erst einige Jahrhunderte später. Im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert wurden kirchliche Vermögensmassen nach staatlichem Ermessen umgewidmet. Ursächlich dafür war der Friedensvertrag von Lunéville aus dem Jahr 1801, der die rechtliche Grundlage für die Eingliederung der linksrheinischen Gebiete in das französische Staatsgebiet enthielt. Die Einzelheiten dieses Prozesses wurden im Reichdeputationshauptschluss (RDHS) am 25. Februar 1803 niedergelegt. Insgesamt wurden damals 112 rheinische Reichsstände aufgehoben. Dazu zählten alle „reichsunmittelbaren geistlichen Fürstentümer, Bistümer, Abteien, Klöster, Stifte und Orden, insgesamt rund 10 000 qkm geistliches Staatsgebiet mit 3.161.776 geistlichen Staatsuntertanen“15.

In § 35 RDHD wird den Landesherrn die Verfügungsgewalt über „alle Güter der fundirten Stifter, Abteyen und Klöster, in den alten sowohl als in den neuen Besitzungen, Katholischer sowohl als A.C. Verwandten16“ zugesprochen, „deren Verwendung in den vorhergehenden Anordnungen nicht förmlich festgesetzt worden ist“. Sie können „sowohl zum Behuf des Aufwandes für Gottesdienst, Unterrichts- und andere gemeinnützige Anstalten, als zur Erleichterung ihrer Finanzen“ genutzt werden, sind aber mit dem Vorbehalt versehen, für die „Ausstattung der Domkirchen“ und die „Pensionen für die aufgehobene Geistlichkeit, nach den unter theils wirklich bemerkten, theils noch unverzüglich zu treffenden näheren Bestimmungen“17  aufzukommen.

Der § 63 RDHS gewährleistet neben der bisherigen Religionsausübung auch den Besitzstand der Kirchen unter Berufung auf die Bestimmungen des Westfälischen Friedens:

„Die bisherige Religionsübung eines jeden Landes soll gegen Aufhebung und Kränkung aller Art geschützt seyn; insbesondere jeder Religion der Besitz und ungestörte Genuß ihres eigenthümlichen Kirchenguts, auch Schulfonds nach der Vorschrift des Westphälischen Friedens ungestört verbleiben ...“18

Allerdings weist der Kirchenrechtler Axel von Campenhausen darauf hin, dass auch diese Garantie zugunsten gleichzeitig gestatteter Säkularisationen durchbrochen wurde und damit Entschädigungspflichten der Landesherren an die Kirchen verursachte. Dies wirkt bis heute in Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 I WRV fort.19

Den Landesherrn wurde zudem in § 65 RDHS die Aufsicht und Leitung über „fromme und milde Stiftungen“ übergeben, sodass auch diese Vermögensmassen von der kirchlichen in die staatliche Verwaltung übergingen.

Die Auswirkungen des Reichsdeputationshauptschlusses auf das Vermögen der Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche, waren enorm. Vor allem Bayern, Preußen und Württemberg versuchten, ihre Gebietsverluste durch das kirchliche Vermögen zu kompensieren.20  Sie schufen auf diese Weise allerdings kein unbelastetes Staatseigentum, da bestimmte Pflichten mit dem Vermögen übernommen wurden: Der Staat war verantwortlich für die Lasten des ehemaligen Kirchenguts, genauer den Fortbestand kirchlicher Leistungen. Zudem verpflichtete § 35 RDHS die Landesherren dazu, sowohl für die Ausstattung der Domkirchen als auch für den Aufwand von Gottesdiensten, Unterrichtsanstalten und anderen gemeinnützigen Anstalten zu sorgen.

Der Reichsdeputationshauptschluss überlebte das Ende des Reiches, da er 1806 in die Kompetenz der Länder überging. Die Garantien der Landesherren an die Kirchen für die Säkularisationen in §§ 35 und 63 RDHS wurden in mehrere Verfassungen des 19. Jahrhunderts aufgenommen. Ein Beispiel hierfür ist das „Edikt über die Einziehung sämtlicher geistlicher Güter in der Monarchie“ des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. vom 30. Oktober 1810. Darin kommt neben der Begründung für Säkularisationen auch der Rechtsgedanke des Ausgleichs deutlich zum Ausdruck. In dem Edikt wird in Erwägung dessen,

„daß a. die Zwecke, wozu geistliche Stifter und Klöster bisher errichtet wurden, theils mit den Ansichten und Bedürfnissen der Zeit nicht vereinbar sind, theils auf veränderte Weise besser erreicht werden können; b. daß alle benachbarte Staaten die gleichen Maasregeln ergriffen haben; c. daß die pünktliche Abzahlung der Contribution an Frankreich nur dadurch möglich wird; d. daß Wir dadurch die ohnedies sehr großen Anforderungen an das Privat-Vermögen Unserer getreuen Unterthanen ermäßigen“,

folgende Bestimmung verfasst:

„Wir werden für hinreichende Belohnung der obersten geistlichen Behörden und mit dem Rathe derselben für reichliche Dotirung der Pfarreien, Schulen, milden Stiftungen und selbst derjenigen Klöster sorgen, welche sich mit der Erziehung der Jugend und der Krankenpflege beschäftigen und welche durch obige Vorschriften entweder an ihren bisherigen Einnahmen leiden oder deren durchaus neue Fundirung nöthig erscheinen dürfte.“21

Über solche Edikte und Gesetze gelangten die Ausgleichsbestrebungen für die Säkularisationen in die Paulskirchenverfassung von 1848/49, in die Preußische Verfassungsurkunde von 1850 sowie in die Weimarer Reichsverfassung von 1919.22

Die Staatsleistungen in Weimar und Bonn

Diese zur Kompensation für Säkularisationsverluste gezahlten Staatsdotationen konnten den Kirchen allerdings nicht die Autarkie zurückgeben, die sie zuvor besessen hatten.23  Vielmehr sind die Kirchen seitdem in Fragen der Staatsleistungen stärker an die grundsätzlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche gebunden. Dies zeigte sich auch bei den Verhandlungen der Weimarer Reichsverfassung.

Dort bildete das gesamte Verhältnis von Staat und Kirche einen zentralen Komplex. In den Verhandlungen standen sich eine kirchenkritische und eine kirchenfreundliche Position gegenüber. Die kirchenfreundlichen Parteien wie die Zentrumspartei sprachen sich für eine Fortsetzung der rechtlichen Privilegierung der christlichen Hauptkonfessionen (römisch-katholisch, lutherisch und reformiert) aus. Die kirchenkritischeren Parteien, etwa die SPD, setzten sich hingegen für eine Privatisierung von Religion ein. Zwischen diesen Polen handelten die Parteien einen bis heute wirkmächtigen Kompromiss zwischen „Traditionswahrung und Innovation“24  aus: Zwar behielten die Großkirchen ihren Status als öffentlich-rechtliche Körperschaften inklusive der damit verbundenen Rechte, sie durften aber nicht länger gegenüber anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften privilegiert werden, wodurch ihre Monopolstellung aufgebrochen wurde.25

In den Beratungen wurden auch die Staatsleistungen kontrovers diskutiert. Der kirchenfreundliche Flügel plädierte für die Aufnahme einer Regelung zu den Staatsleistungen in die Reichsverfassung. Sein Engagement basierte auf Erfahrungen mit einigen kirchenfeindlichen Regierungen in den Ländern, die dazu übergingen, die staatlichen Zahlungen einzustellen.26  Um dieser Gefahr für die Kirchen entgegenzuwirken, wurden die Staatsleistungen in die Verfassung des Reiches aufgenommen. Neben dieser grundsätzlichen Diskussion wurde auch über die Ablösungsfrage kontrovers debattiert.27  So versuchte die Zentrumspartei, die Ablösung auf Fälle einvernehmlicher Vereinbarungen zu beschränken. Die SPD bestand jedoch auf einer Entzerrung von Kirche und Staat, die auch in finanzieller Hinsicht wirksam sein müsse,28  und setzte sich deshalb für eine Ablösungspflicht der Staatsleistungen ein. Im Ergebnis liegt eine Verfassung vor, in welcher das Zusammenwirken von Staat und Kirche entflochten, aber nicht gänzlich getrennt ist. Dies wird insbesondere an den Staatsleistungen deutlich: Die Entflechtung findet in Form des Ablösungsgebots statt, wird jedoch eher formelhaft durch den Verweis auf ein Grundsätzegesetz kodifiziert, und das Verhältnis wird nicht tatsächlich in seinen Einzelheiten entwirrt.29

Diese Diskussion setzte sich auch im Parlamentarischen Rat 1948 vor dem Hintergrund der gleichen Polarisierung einer freundlichen Kooperation auf der einen und einer strikteren Trennung von Staat und Kirche bzw. Religion auf der anderen Seite fort. In Bezug auf die Staatsleistungen drängten CDU/CSU, Zentrum und die Deutsche Partei (DP) darauf, das Ablösungsgebot aufzuheben und die Ablösung auf Fälle freiwilliger Vereinbarungen zu beschränken. Als sich dies als nicht mehrheitsfähig erwies, wandte sich vor allem die CDU dagegen, Art. 138 Abs. 1 WRV in das Grundgesetz zu übernehmen. Die SPD insistierte jedoch darauf, dass die Kirchenbestimmungen in der WRV ein geschlossenes Ganzes bildeten und somit komplett übernommen werden sollten.30  Die Position der SPD setzte sich beim sogenannten Fünferausschuss durch.31  So wurden die Artikel 136 bis 141 der Weimarer Reichsverfassung in Art. 140 des Grundgesetzes inkorporiert – darunter auch die Verpflichtung zur Ablösung der Staatsleistungen, wobei der Bund die Grundsätze für die Ablösung aufstellen muss.

Staatsleistungen in der Deutschen Demokratischen Republik

Die Kirchenrechtsartikel der ersten Verfassung der DDR von 1949 entsprachen den Bestimmungen der WRV weitgehend.32  Zudem hatte die sowjetische Besatzungsmacht den Kirchen in den ostdeutschen Ländern kurz nach Kriegsende die Zahlung der Staatsleistungen zugesagt.33  In der ersten Verfassung der DDR wurde in Art. 45 Abs. 1 folgende Bestimmung zu den Staatsleitungen aufgenommen: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden öffentlichen Leistungen an die Religionsgemeinschaften werden durch Gesetz abgelöst.“ Anders als in der WRV wird dort auf ein Grundsätzegesetz des Bundes verzichtet.

Die zweite Verfassung der DDR von 1968/74 enthielt keinen Artikel zu den Staatsleitungen mehr. Allerdings wurde dadurch keine neue Praxis begründet, denn die Staatsleistungen waren ohnehin nur in den ersten Jahren bis 1951 in „hergebrachtem Umfang“34  gezahlt worden. Der Staatsrechtler Josef Isensee stellt heraus, dass die DDR eine „klare rechtliche Festlegung“ zu den Staatsleistungen vermied. „Soweit sie Leistungen ruhen ließ, stornierte oder kürzte, berief sie sich … auf die Knappheit der Mittel.“ Der Rechtsweg zum Einklagen der Staatsleistungen war den Kirchen in der DDR zwar verschlossen, dennoch schaffte diese die Staatsleistungen nicht gänzlich ab, sodass das „Traditionskontinuum der Staatsleistungen“ auch in der DDR fortbestand.

Was sind Staatsleistungen?

Ohne den Blick in die Geschichte sind die Staatsleitungen nicht zu verstehen. Denn als ihre zentralen Merkmale gelten ihre besonderen historischen Rechtsgrundlagen.35

Bei den Staatsleistungen lassen sich drei verschiedene Typen unterscheiden:

  • Staatliche Zuwendungen für den Bedarf der allgemeinen kirchlichen Verwaltung (hierzu zählen etwa evangelische Oberkirchenräte, Superintendenten, bischöfliche Stühle, Domkapitel, bischöfliche Anstalten),
  • Zuschüsse zu Personalkosten einschließlich der Versorgungsleistungen (beispielsweise Pfarrbesoldungszuschüsse, Dotationskapitalien),
  • Aufwendungen für sonstige kirchliche Bedürfnisse (Stiftungen, Deckung des Gesamtbedarfs einzelner Kirchengemeinden).36

Inzwischen sind die Staatsleistungen in verschiedene Staatskirchenverträge und Konkordate integriert worden. Diese stellen die aktuelle Rechtsgrundlage, aber keine Neubegründung der Staatsleistungen dar. Sie können als „bereinigte Zusammenfassung bestehender und vor 1919 begründeter staatlicher Verpflichtungen“37  gelten. Folgende Auszüge aus Staatskirchenverträgen zeigen exemplarisch, wie die Staatsleistungen in den Verträgen aufgenommen und die Zahlungen bestimmt werden:

Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit der Evangelischen Landeskirche in Baden und mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (Evangelischer Kirchenvertrag Baden-Württemberg – EvKiVBW) vom 17. Oktober 2007:

„Artikel 25 Staatsleistungen

(1) Die dauernden Verpflichtungen des Landes zu wiederkehrenden Leistungen an die Kirchen bleiben nach Maßgabe des Artikels 138 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 dem Grunde nach gewährleistet …

(3) Das Land zahlt jährlich 1. für kirchenregimentliche Zwecke, für Zwecke der Pfarrbesoldung und -versorgung und für andere besondere Rechtstitel a) im Jahre 2007 13.089.200 … Euro[,] b) in den Jahren 2008 und 2009 jeweils 13.294.200 … Euro[,] c) ab 1. Januar 2010 13.786.900 […] Euro Staatsleistungen an die Evangelische Landeskirche in Baden; 2. für kirchenregimentliche Zwecke, für Zwecke der Pfarrbesoldung und -versorgung und für andere besondere Rechtstitel … [hier werden ebenfalls für die Jahre 2007, 2008/2009 und ab 2010 Beträge genannt] Staatsleistungen an die Evangelische Landeskirche in Württemberg; 3. für das Evangelische Stift und für die niederen evangelisch-theologischen Seminare … [hier werden wieder Beträge für verschiedene Jahre genannt] Staatsleistungen an die Evangelische Landeskirche in Württemberg und an die Evangelische Seminarstiftung …

(6) Für eine Ablösung nach Maßgabe des Artikels 138 Abs.1 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 bleibt die bisherige Rechtslage maßgebend.“38

Wittenberger Vertrag39  des Landes Sachsen-Anhalt mit den Evangelischen Landeskirchen in Sachsen-Anhalt vom 15. September 1993:

„Artikel 13 Staatsleistung. (1) Das Land zahlt an die Kirchen im Land Sachsen-Anhalt anstelle früher gewährter Dotationen für kirchenregimentliche Zwecke und Zuschüsse für Zwecke der Pfarrbesoldung und -versorgung sowie anderer auf älteren Rechtstiteln beruhenden Zahlungen einen Gesamtzuschuß (Staatsleistung) …

(2) Die Staatsleistung beträgt: 1991 18.500.000 DM[,] 1992 25.750.000 DM

(3) Ändert sich in der Folgezeit die Besoldung der Beamten im Staatsdienst, so ändert sich die Staatsleistung auf der Grundlage der für das Jahr 1992 vereinbarten Höhe entsprechend …

(6) Für eine Ablösung der Staatsleistung gilt Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 138 Abs. 1 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919.“40

Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Lande Niedersachsen vom 26. Februar 1965:

„Artikel 15 (1) Das Land zahlt an die Diözesen, beginnend am 1. Januar 1965, als Dotation und als Zuschuss für Zwecke der Pfarrbesoldung und -versorgung jährlich drei Millionen zweihundertundfünfzigtausend Deutsche Mark. Der Betrag ist in seiner Höhe laufend den Veränderungen der Besoldung der Landesbeamten anzupassen. (2) Für eine Ablösung gemäß Artikel 140 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 bleibt die bisherige Rechtslage maßgebend.“41

In den Ausschnitten aus den beiden Staatskirchenverträgen und dem Konkordat werden als Verwendungszwecke der Zahlungen jene Aspekte benannt, die auch in historischen Dokumenten aufgenommen wurden: Gelder zum „Zwecke der Pfarrbesoldung und -versorgung“ sowie für Stifte und Seminare. Zudem zeigen die Passagen der Staatskirchenverträge und des Konkordats, dass die Staatsleistungen an die Besoldungsanforderungen der Pfarrer angepasst werden und sich ihre Höhe deshalb über die Jahre verändert. Es wird eine deutliche Abgrenzung zu anderen Subventionen deutlich, die der Staat zu festgelegten gemeinnützigen Zwecken gewährt – beispielsweise für Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen, Schulen, Kindergärten sowie andere Bildungseinrichtungen. Auch die Staatsleistungen an den Zentralrat der Juden und die jüdischen Gemeinden sind von dem Gesetz nicht betroffen. Bei der Ablösung der Staatsleistungen geht es also nicht um die Beendigung aller staatlichen Zahlungen an Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern nur um die historischen Staatsleistungen aus Art. 138 Abs. 1 WRV.

Neben diesen sogenannten positiven Staatsleistungen gibt es auch negative Staatsleistungen. Sie befreien von Abgabepflichten. Dazu zählen jedoch nur solche Steuer- und Gebührenbefreiungen, die den gleichen Zweck wie positive Staatsleitungen erfüllen.42  Es gilt deshalb, diese negativen Staatsleistungen deutlich von anderen Steuerbegünstigungen zu unterscheiden, wie etwa solchen, die an den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gebunden sind.

Träger und Empfänger der Staatsleistungen

Heute zahlen alle Bundesländer mit Ausnahme der Stadtstaaten Bremen und Hamburg Staatsleistungen an die Kirchen. Die Länder sind Träger der positiven Staatsleistungen. Träger der negativen Staatsleistungen kann auch der Bund sein.

Die Länder zahlen jedoch unterschiedlich hohe Beträge. Dies begründet sich durch den Umfang der Säkularisationsprozesse und die Fixierung der Staatsleistungen in vertraglichen Vereinbarungen. Es ist schwer, sich einen Gesamtüberblick über die Summen zu verschaffen. Die Humanistische Union (HU) bietet allerdings eine tabellarische Übersicht der Staatsleistungen seit 1949 an.43  Diese wurde von Carsten und Evelin Frerk sowie Johann-Albrecht Haupt, die sich als explizite Kritiker bzw. Kritikerin der Staatsleistungen positionieren,44  für die einzelnen Bundesländer seit 1949 zusammengestellt. In der Übersicht lässt sich sowohl der Anstieg der Zahlungen im Laufe der Jahre als auch die unterschiedliche Höhe der Zahlungen nachvollziehen. Während beispielsweise Baden-Württemberg nach Angabe der HU im Jahr 2020 131.711.000 Euro an Staatsleistungen zahlt, sind es in Sachsen-Anhalt 36.500.000 Euro. In absoluten Zahlen verzeichnet Baden-Württemberg die höchsten Staatsleistungen. Umgerechnet auf die Einwohner in den Bundesländern ergibt sich hingegen ein anderes Bild: Hier steht Sachsen-Anhalt an der Spitze mit 16 Euro pro Einwohner.45

Als Empfänger der in den Staatskirchenverträgen und Konkordaten verabredeten Staatsleistungen gelten die katholische und die evangelische Kirche in all ihren Organisationsstufen (als Gesamtverband, aber auch ihre Gliedkörperschaften), zudem kommen auch Inhaber eines bestimmten Amtes in Betracht. Neben den Großkirchen kommen die altbegründeten Staatsleistungen auch der Altkatholischen Kirche, der Altlutherischen Kirche, den Freireligiösen und Deutschen Freigemeinden, der Israelitischen Synagogengemeinde und der Methodistenkirche zu.46

Häufig wird insbesondere von anderen Religionsgemeinschaften hinterfragt, ob durch die Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen nicht der Paritätsgrundsatz des Religionsverfassungsrechts verletzt werde. Juristen negieren diese Annahme in der Regel mit der Argumentation, dass die Staatsleistungen aufgrund ihrer historischen Genese keine Bevorzugung der christlichen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften bedeuteten.47  Ob dieses juristische Argument auch im gesellschaftspolitischen sowie im interreligiösen Diskurs stets nachvollzogen und verstanden wird, muss jedoch zunehmend angezweifelt werden.

Betrachtet man die Bedeutung der Staatsleistungen für den kirchlichen Haushalt, zeigt sich, dass sie in der Regel nur einen geringen Teil der Einnahmen ausmachen. Die Mittel der EKD lassen sich in drei große Gruppen einteilen: Die erste und größte Gruppe ist die der Beiträge und Spenden der Gemeindemitglieder (Kirchensteuern, Gemeindebeiträge, Kollekten etc.). Sie macht 50 % der Einnahmen aus.48  Die zweite Gruppe umfasst eigene Einnahmen etwa aus kirchlichen Dienstleistungen wie Kindergärten, Schulen, Leistungen im Friedhofswesen (13 %) sowie Miteinnahmen, Kapitalerträge etc. (8 %), wobei Rücklagenentnahmen zum Ausgleich der Haushalte hinzukommen (6 %). Die dritte Gruppe umfasst Drittmittel bestehend aus Fördermitteln und Zuschüssen für kirchliche Bildungseinrichtungen (20 %) und den Staatsleistungen (2,6 %).49

So hat die EKD etwa für das Jahr 2014 angegeben, dass die Staatsleistungen im Umfang von 273 Millionen Euro 2,2 % ihres Gesamthaushalts ausmachten.50  Allerdings gibt es auch Landeskirchen, die stärker auf die Staatsleistungen angewiesen sind. So lag beispielsweise der Anteil der Staatsleistungen am Haushaltsvolumen der sächsischen Landeskirche im Jahr 2016 bei 10 %.51

Die Ablösung der Staatsleistungen – Erläuterungen anhand des interfraktionellen Gesetzentwurfs

Wie auch die exemplarisch aufgeführten Ausschnitte aus den Staatskirchenverträgen und dem Konkordat enthielten die Vereinbarungen über die Staatsleistungen in der Regel einen Hinweis auf ihre Ablösung unter Verweis auf Art. 140 GG i.V.m Art. 138 Abs. 1 WRV. Wie oben gezeigt, setzte u. a. die SPD in den Verhandlungen zur Weimarer Reichsverfassung die Aufnahme eines Ablösungsgebots durch. Allerdings bedarf die Ablösung nach Art. 138 Abs. 1 WRV eines Gesetzes des Bundes, in dem die Grundsätze der Ablösung bestimmt werden. Juristen haben den Verfassungsauftrag der Ablösung aufgrund dieser Bedingung als „Vehikel einer Verfassungssperre“52  bezeichnet, einen Formelkompromiss, der weiteres Handeln erschwere. Diese Einschätzung scheint dadurch bestätigt zu werden, dass die Umsetzung des Verfassungsauftrags seit nunmehr über 100 Jahren aussteht. Vertreter der Kirchen haben ihre Bereitschaft zur Ablösung erklärt,53  verweisen jedoch aufgrund der Rechtslage auf die Politik, von der die Handlungsimpulse ausgehen müssen.

Eine Gesetzgebung zur Ablösung muss zwei Rechtsvorgänge umfassen: „die Aufhebung der bestehenden Leistungsverhältnisse und die Begründung der Ausgleichspflicht“54. Eine entsprechende Gesetzgebung ist nicht als Herabsetzung der wirtschaftlichen Grundlage der Kirchen oder gar als neue Säkularisation gedacht.55

Legt man dieses Prinzip zugrunde, muss die Ablösesumme dem Staatsrechtler Isensee zufolge das „volle Leistungs-Äquivalent“56  der Staatsleistungen abdecken. Andere Rechtswissenschaftler gelangen hingegen zu der Auffassung, dass nicht der volle Wertersatz, sondern eine angemessene Entschädigung zu zahlen sei.57  Unter Juristen herrscht jedoch mehrheitlich die Annahme vor, dass die Ablösesumme den vollen Wertersatz leisten, die Ablösesumme also auf dem Äquivalenzprinzip basieren müsse.58  Wie dieser äquivalente Wert errechnet wird, ist wiederum umstritten. Ausgangspunkt für die Berechnung ist in der Regel der Wert der Staatsleistungen zum Zeitpunkt ihrer Ablösung.

Der aktuell vorliegende interfraktionelle Gesetzentwurf von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bestimmt das 18,6-Fache der aktuellen Staatsleitungen von 2020 als vollen Wertersatz.59  Abschläge können durch die Länder mit den Kirchen verhandelt werden.60  Die Staatsleistungen können dem Gesetzentwurf zufolge durch einmalige Zahlungen oder Ratenzahlungen abgelöst werden. Die Ablösung muss nicht durch Geldleistungen, sondern kann auch durch andere Leistungen, etwa durch Grundstücke oder auch Rentenberechtigungen, erfolgen. Der Entwurf legt zudem fest, dass die Länder innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Grundsätzegesetzes eine gesetzliche Regelung zur Ablösung der Staatsleistungen haben müssen. Die Ablösung selbst muss binnen 20 Jahren erfolgen.61  Bis zur vollständigen Ablösung müssen die Länder die bisherigen Staatsleistungen an die Kirchen weiterhin zahlen.

Für die Länder bedeutet die Ablösung demnach eine erhebliche fiskalische Herausforderung. Vermutlich ist dies ein wesentlicher Grund dafür, dass die Staatsleistungen bislang nicht abgelöst worden sind. Zwar geben viele Länder unter Verweis auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 WRV an, dass sie ohne ein Grundsätzegesetz des Bundes nicht ablösen können, jedoch liegt die Annahme nahe, dass die materielle Aufwendung ein mindestens ebenso erheblicher Grund für das zögerliche Verhalten der Länder ist. Dass Ablösungen dennoch möglich sind, zeigen die Beispiele von Paderborn und Hessen, wo durch vertragliche Vereinbarungen kommunale Baulasten abgelöst wurden.62

Damit die Ablösung jedoch umfassend in Angriff genommen wird, scheint ein Gesetz des Bundes über die Grundsätze der Ablösung unumgänglich. Falls sich der Deutsche Bundestag durchringen kann, ein solches zu erlassen, könnte die Ablösung nach über 100 Jahren Verfassungsauftrag an Fahrt aufnehmen. Das Gesetz ist nicht zustimmungspflichtig, das heißt, es müsste nicht erst noch im Bundesrat von den Ländern bestätigt werden.

Positionen zum Ablösen der Staatsleistungen

Die Umsetzung des Ablösegebots der Staatsleistungen wird seit vielen Jahren am lautstärksten aus dem säkularen Spektrum gefordert. Allerdings gibt es auch kirchliche Akteure, die sich für eine Ablösung aussprechen. Neben der konsequenteren Entflechtung von Staat und Kirche könnte für die Kirchen auch ein Imagevorteil daraus resultieren. Die historischen Staatsleistungen stoßen bei Bürgerinnen und Bürgern immer wieder auf Unverständnis. Ohne Kenntnisse der historischen Zusammenhänge bleibt häufig nur der Eindruck bestehen, dass Pfarrstellen durch Steuergelder finanziert werden.

Der Gesetzentwurf von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ist Michael Heinig, dem Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, zufolge „eine solide und verfassungskonforme Grundlage, über die man jetzt ernsthaft diskutieren sollte“63. So positiv fällt das Urteil allerdings nicht bei allen interessierten Akteuren aus. Insbesondere in säkularen Kreisen stößt die Gesetzesvorlage nicht auf Zustimmung. Dies zeigt etwa eine Stellungnahme des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), dessen Agenda durch die Förderung säkularer Rechtspolitik bestimmt ist. Rolf Schwanitz (SPD), Mitglied des Beirats des ifw, kommentiert den interfraktionellen Gesetzentwurf wie folgt:

„Die Ablösungsvorschläge haben offensichtlich zum Ziel, die Kirchen so auszustatten, als würden die (zusätzlichen) Staatsleistungen auf immer und ewig weiterbestehen. Das käme aber lediglich einer haushalterischen Umwandlung der (zusätzlichen) Geldzahlungen gleich. Das Ablösungsgebot liefe faktisch ins Leere, weil der finanzielle Nachteil des Staates zu Gunsten der Kirchen versteinert würde.“64

Das ifw kritisiert demnach die Festlegung der Ablösesumme sowie die Ablösebestimmungen deutlich. Eine ähnliche Reaktion formuliert auch das „Bündnis Altrechtliche Staatsleistungen abschaffen“ (BA§TA), das sich über die Inangriffnahme des längst überfälligen Verfassungsauftrags positiv äußerte, die vorgelegte Lösung allerdings als „meilenweit entfernt von einer gerechten Lösung“65  bewertete.

In der Plenarsdebatte am 5.11.2020 ist eine Verringerung der Summe nicht anvisiert worden. Während die AfD-Fraktion in einem eigenen Antrag die Ablösung komplett streichen und stattdessen eine Einstellung der Staatsleistungen bis zum Jahr 2027 durchsetzen will, schlug der religionspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Hermann Gröhe, zur Bestimmung der Ablösesumme eine Korridorlösung vor, die keinen festen Faktor zur Berechnung der Ablösesumme vorgibt. Zudem forderten CDU/CSU und SPD eine stärkere Einbeziehung der Länder in den Entstehungsprozess eines Grundsätzegesetzes der Länder. Ob der weitere politische Prozess auf Grundlage des Gesetzentwurfs von FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen erfolgt oder ob die Fraktionen von CDU/CSU oder/und SPD einen eigenen Vorschlag einbringen, wie es der religionspolitische Sprecher der SPD, Lars Castellucci, in seiner Rede im Plenum andeutete, wird sich in den kommenden Monaten bei der Fortführung der Debatte im Innenausschuss zeigen.


Hanna Fülling, 02.11.2020

 

Anmerkungen

1  Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen. Wie der Staat die Kirchen finanziert, Aschaffenburg 2010.

2  www.korso-deutschland.de/kein-geld-fur-mixa-korso-fordert-ablosung-der-staatsleistungen-an-die-kirchen (Abruf der in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten: 2.11.2020).

3  Vgl. Deutscher Bundestag: Drucksache 17/8791, 29.2.2012.

4  Vgl. ebd.

5  Vgl. Deutscher Bundestag: Drucksache 18/4842, 6.5.2015.

6  Vgl. Deutscher Bundestag: Drucksache 18/1110, 9.4.2014.

7  Vgl. Deutscher Bundestag: Drucksache 19/19273, 15.5.2020.

8  Christian Alschner: Die Säkularisation der Klosterbibliotheken im albertinischen Sachsen (Mark Meißen, Leipzig und Pegau), Leipzig 1969, 20.

9  Vgl. ebd., 21.

10  Vgl. Christian Waldhoff: Staatsleistungen an die Kirchen – Gerechtfertigtes Institut oder überholtes Relikt?, in: Karlies Abmeier / Petra Bahr / Thomas Volk (Hg.): Monitor Religion und Politik. Ausgewählte Beiträge, Sankt Augustin / Berlin 2015, 81-92, 83.

11  Vgl. Volker Press: Kirche und Staat in der frühen Neuzeit, in: TRE, Bd. 18, 381-386, 382. Mit dem Westfälischen Frieden wurde das ius reformandi dahingehend entschärft, dass der Konfessionsstand reichsrechtlich festgeschrieben wurde und nicht weiter vom Landesherrn nach Belieben geändert werden konnte. Somit blieb das Bekenntnis des Territoriums auch bei einem obrigkeitlichen Konfessionswechsel unangetastet.

12  §§ 16, 19 und 21 Augsburger Religionsfrieden.

13  Vgl. Axel Frhr. von Campenhausen: Staatskirchenrecht, München ²1983, 24.

14  Vgl. Alschner: Die Säkularisation der Klosterbibliotheken (s. Fußnote 8), 22f.

15  Von Campenhausen: Staatskirchenrecht (s. Fußnote 13), 28.

16  Als A.C. Verwandte wurden die Anhänger der Confessio Augustana bezeichnet.

17  RDHS, 25.2.1803, www.documentarchiv.de/nzjh/rdhs1803.html.

18  Ebd.

19  Vgl. von Campenhausen: Staatskirchenrecht (s. Fußnote 13), 29.

20  Vgl. ebd., 30.

21  www.verfassungen.de/preussen/alt_nicht%20veröffentlicht/preussen07.htm.

22  Vgl. von Campenhausen: Staatskirchenrecht (s. Fußnote 13), 31.

23  Vgl. Josef Isensee: §35 Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Berlin ²1994, 1009-1063, 1012.

24  Horst Dreier: Religionsverfassung in 70 Jahren Grundgesetz. Rückblick und Ausblick, in: Juristen Zeitung 74/21 (2019), 1005-1015, 1006.

25  Vgl. Paul Kirchhof: § 22 Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Listl / Pirson (Hg.): Handbuch des Staatskirchenrechts (s. Fußnote 24), 651-687, 662.

26  Vgl. Isensee: §35 (s. Fußnote 23), 1015.

27  Vgl. Martin Morlok: Art. 138, in: Horst Dreier (Hg.): Grundgesetz Kommentar. GG, Bd. III, Tübingen ³2018, 1806-1824, 1808.

28  Vgl. ebd.

29  Vgl. Isensee: §35 (s. Fußnote 23), 1017.

30  Vgl. Morlok: Art. 138 (s. Fußnote 27), 1809.

31  Vgl. ebd.

32  Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Historische Aspekte der Staatsleistungen an die Kirchen gemäß Art. 140 Grundgesetz, Berlin 2010, 10.

33  Vgl. Isensee: §35 (s. Fußnote 23), 1053.

34  Ebd., 1054 (auch die folgenden Zitate).

35  Vgl. Morlok: Art. 138 (s. Fußnote 27), 1812f.

36  Vgl. Isensee: §35 (s. Fußnote 23), 1022.

37  Peter Unruh: Religionsverfassungsrecht, Baden-Baden 2018, 315.

38  Fachinformationssystem Kirchenrecht, www.kirchenrecht-baden.de/document/4126#s00000111.

39  Der Wittenberger Vertrag ist der erste umfassende Staatskirchenvertrag der neuen Länder nach der Wiedervereinigung.

40  www.kirchenrecht.uni-halle.de/Anhalt/Texte/KEL-Anhalt-95-02_V-LSA-Anhalt.pdf.

41  www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/archivio/documents/rc_seg-st_19650226_concordato-sassonia-inf_ge.html.

42  Vgl. Morlok: Art. 138 (s. Fußnote 27), 1813.

43  Vgl. Johann-Albrecht Haupt: Staatsleistungen der Länder an die Kirchen, www.humanistische-union.de/fileadmin/hu_upload/doku/2020/vorg228_Doku-Staatsleistungen.pdf.

44  Vgl. Johann-Albrecht Haupt: Nichtablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Geschichte eines politischen Versagens, in: vorgänge Nr. 203, 3/2013, 16-28, sowie Frerk: Violettbuch (s. Fußnote 1), 2010.

45  Matthias Bertsch / Christoph Fleischmann: Staatsleistungen an die Kirchen. Schwierige Ablösung, 3.5.2020, www.deutschlandfunkkultur.de/staatsleistungen-an-die-kirchen-schwierige-abloesung.1278.de.html?dram:article_id=475768.

46  Vgl. von Campenhausen: Staatskirchenrecht (s. Fußnote 13), 193.

47  Vgl. Morlok: Art. 138 (s. Fußnote 27), 1815.

48  Vgl. Thomas Begrich: Finanzstruktur der evangelischen Kirche in Deutschland, in: Karlies Abmeier (Hg.): Geld, Gott und Glaubwürdigkeit, Tübingen 2016, 285-293, 286.

49  Vgl. ebd.

50  Vgl. EKD: Staatsleistungen, www.ekd.de/staatsleistungen-53875.htm.

51  Vgl. https://engagiert.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_engagiert/B._Landeskirche/Landessynode/PDF/27_HP2016-Ein-und_Ausgaben.pdf.

52  Vgl. Isensee: §35 (s. Fußnote 23), 1017.

53  Vgl. EKD: Evangelische Kirche zu Gesprächen über Staatsleistungen bereit, 12.11.2013, www.ekd.de/news_2013_11_12_4_staatsleistungen.htm; DBK: Pressekonferenz zum Abschluss der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda, 7.10.2020, www.dbk.de/nc/presse/aktuelles/meldung/pressekonferenz-zum-abschluss-der-herbst-vollversammlung-der-deutschen-bischofskonferenz-in-fulda/detail.

54  Isensee: §35 (s. Fußnote 23), 1035.

55  Vgl. ebd.

56  Ebd.

57  Vgl. Morlok: Art. 138 (s. Fußnote 27), 1816.

58  Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Staatsleitungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, Berlin 2010, 7.

59  Der Faktor des 18,6-Fachen ist dem Bewertungsgesetz entnommen.

60  Vgl. Deutscher Bundestag: Bundesdrucksache 19/19273.

61  Vgl. ebd.

62  Vgl. Bertsch / Fleischmann: Staatsleistungen an die Kirchen (s. Fußnote 45).

63  Staatsleistungen an Kirchen werden Thema im Bundestag, 13.3.2020, https://die-kirche.de/news-detail/nachricht/staatsleistungen-an-kirchen-werden-thema-im-bundestag.html.

64  ifw: „Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen“: Staatsminister a. D. Rolf Schwanitz (SPD) begrüßt blockübergreifende Initiative von FDP, Linke und Grünen und mahnt vor unbegründeten Geldforderungen der Kirchen, 13.3.2020, https://weltanschauungsrecht.de/meldung/staatsminister-kommentar-gesetz-abloesung-staatsleistungen.

65  BA§TA: Gesetzentwurf von FDP, Linken und Grünen springt viel zu kurz – Ende der Staatsleistungen, 13.3.2020, https://staatsleistungen-beenden.de/aktuelles/gesetzentwurf-von-fdp-linken-und-gruenen-springt-viel-zu-kurz-ende-der-staatsleistungen.