Reinhard Hempelmann

50 Jahre EZW

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. In historischer Perspektive ist sie ein Kind der Inneren Mission, entstanden aus der Erfahrung und Einsicht, dass Apologetik als Rechenschaft des Glaubens eine unverzichtbare Dimension des missionarischen Handelns der Kirche darstellt. Von der EKD wurde sie gleichsam adoptiert, nach gemeinsamen Beratungen mit „Innerer Mission und Hilfswerk der EKD“. Am 1. April 1960 nahm der promovierte Kirchenrat Kurt Hutten (1901-1979) seinen Dienst in Stuttgart am Hölderlinplatz 2A auf. Hutten kam aus der kirchlichen Pressearbeit, galt als erfolgreicher Autor und großes Talent evangelischer Publizistik und hatte sich durch das in zahlreichen Auflagen erschienene Buch „Seher, Grübler, Enthusiasten“ einen Namen als Kenner und Fachmann für „traditionelle Sekten und religiöse Sonderbewegungen“ gemacht.

Am 17. November 1960 eröffnete der 70-jährige Carl Gunther Schweitzer, der erste Leiter der 1921 in Berlin gegründeten Apologetischen Centrale, die erste Kuratoriumssitzung auf der Basis einer „Vorläufigen Ordnung für die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“, die am 7. Juli durch den Rat der EKD und den Diakonischen Rat verabschiedet worden war. Theologische Grundlagen, Zielsetzung, Arbeitsbereiche und Arbeitsweise hatte der Rat der EKD bereits ein Jahr zuvor in einer am 1. Juli 1959 publizierten Denkschrift festgelegt. Bezug genommen wird darin auf Paul Tillichs Verständnis von Systematischer Theologie als „antwortender Theologie“ und Emil Brunners „Eristik“, die er als „missionarische Theologie“ bezeichnet. Aufgabe der zu gründenden Zentralstelle soll sein, „eine lebendige Auseinandersetzung mit den Strömungen der Zeit herbeizuführen. Ohne immer fertige Antworten zu liefern oder sich auf traditionelle dogmatische Informationen zu beschränken, soll sie darauf abzielen, in den Gemeinden mündiges Christentum mit eigenem Urteil und persönlicher Verantwortungsbereitschaft zu wecken“. Als Kooperationspartner werden u. a. genannt: kirchliche Werke, Evangelische Akademien, Deutscher Evangelischer Kirchentag, Konfessionskundliches Institut Bensheim. Die neu zu errichtende Stelle soll vor allem einen „Mittlerdienst zwischen Grundlagenforschung und praktischer kirchlicher Arbeit“ leisten.

Unter veränderten Bedingungen und mit neuem Namen wurde seit 1960 in Stuttgart fortgesetzt, was in Berlin als Apologetische Centrale begonnen und 1937 durch die Nationalsozialisten ein erzwungenes Ende genommen hatte. Bereits die Arbeit der Spandauer Centrale war von dem Bemühen geprägt gewesen, Zeitströmungen zu beobachten und sie im Lichte des Evangeliums zu deuten und zu beurteilen. Es ging um die „Begegnung mit den Geistesmächten“ und das „Gespräch mit der Zeit“, um Auseinandersetzung mit dem christentumskritischen Freidenkertum, mit einer psychologischen Weltanschauung und vor allem mit völkischer Religiosität und rassistischer Ideologie. Die Arbeit erschöpfte sich allerdings nicht in Ideologie- und Religionskritik. Es ging auch um die „Antwort des Glaubens“, um die Artikulation christlicher Identität unter Einbeziehung des Gegenübers, wie in der EZW später formuliert wurde. In der heute gültigen Ordnung der EZW, die der Rat der EKD im Zusammenhang des Umzugs der Einrichtung von Stuttgart nach Berlin, in die Auguststraße 80, 1996 verabschiedete, wurde dieser Gesichtspunkt unterstrichen, und es wurde formuliert, dass die EZW dazu beitragen soll, „die Darstellung des christlichen Gottes- und Weltverständnisses im Gegenüber zu anderen Gottes- und Weltverständnissen zur Geltung zu bringen (evangelische Apologetik)“.

Obgleich sich die religiöse Landschaft wandelte und die in der EZW-Arbeit behandelten Themen sich änderten, gibt es eine erstaunliche Kontinuität in ihrer Arbeitsweise und inhaltlichen Ausrichtung. Sie versucht beides zusammenzuhalten: Wahrheit und Liebe, Standfestigkeit und dialogische Offenheit, Begegnung und Auseinandersetzung, Hörfähigkeit und Bereitschaft zur öffentlichen Rechenschaft des christlichen Glaubens. Wichtigstes Aushängeschild der EZW-Arbeit war und ist ihre in weite Bereiche von Kirche und Gesellschaft reichende Publizistik. In der Monatszeitschrift „Materialdienst – Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen“ kann nachgelesen werden, welche religiös-weltanschaulichen Themen, Weltanschauungsgemeinschaften, kleinen und großen religiösen Gruppierungen von sich reden machen und im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit stehen. Die Themen der dreimal im Jahr versandten „EZW-Texte“ sind in ihrer Ausrichtung ein Spiegelbild weltanschaulicher Diskurse.

Seit ihrer Gründung steht die EZW für das Konzept einer verstehenden Apologetik, die das Gespräch mit anders glaubenden und nicht glaubenden Menschen ernsthaft sucht und fördert und auch bereit ist, religiöse Gemeinschaften gegenüber voreiligen Stigmatisierungen in Schutz zu nehmen. Die Arbeit möchte zugleich für den Umgang mit religiöser und kultureller Vielfalt Unterscheidungskriterien ins Spiel bringen und die Urteilsfähigkeit in Kirche, Gemeinde und Gesellschaft stärken. Die Begegnung mit religiös-weltanschaulicher Vielfalt fordert immer auch zu dem heraus, was die Bibel „Unterscheidung“ nennt und das Gestalt gewinnt im kritischen Widerspruch gegenüber verletzenden und krankmachenden Formen von Religiosität.

Weltanschauungsarbeit ist heute in den evangelischen Landeskirchen – wie übrigens auch in den katholischen Bistümern – ein etabliertes übergemeindliches kirchliches Handlungsfeld, in dem es um Information, Deutung, Aufklärung über religiös-weltanschauliche Gruppierungen und Strömungen aus der Perspektive des trinitarischen Gottesglaubens und des christlichen Verständnisses von Welt und Mensch geht. Zu diesem Praxisbereich gehören Informations- und Beratungsangebote, die der Gesamtkirche, Gemeinden, Einzelpersonen, darüber hinaus auch kommunalen Einrichtungen und einer breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Hinter Mauern kann christlicher Glaube nicht gelebt werden, sondern nur im freien, offenen Austausch.

Weltanschauungsarbeit leistet einen Beitrag für die Kirchen, den religiös-weltanschaulichen Kontext, in dem der Adressat des Evangeliums lebt, möglichst präzise zu erfassen. Sie hat dabei unterschiedliche und schnell sich wandelnde Situationen wahrzunehmen und dazu beizutragen, dass die vom Evangelium her bestimmte Glaubensperspektive öffentlich zur Sprache kommt und das christliche Zeugnis in einer Situation zunehmender religiöser Pluralisierung und fortschreitender Säkularisierung erkennbar bleibt.


Reinhard Hempelmann