125 Jahre Freidenkerverband

(Letzter Bericht: 5/2006, 193f u. 194) Am 10./11. Juni 2006 trafen sich etwa 70 Delegierte und Gäste des Deutschen Freidenker-Verbands (DFV) in Frankfurt a.M. zu einem Bundesverbandstag. Die Mainmetropole war gewählt worden, weil hier vor 125 Jahren der Freidenkerverband gegründet wurde. Der diesjährige Verbandstag stand unter dem etwas bemühten Motto: „Aufklärung contra Gehirnwäsche, Volksverdummung und Zerstörung der Vernunft. / Make Capitalism History! – Bringen wir den Kapitalismus hinter uns! / Solidarisch gegen Imperialismus und Krieg!“

Auf dem Verbandstag des DFV erklärte der Bundesvorsitzende des DFV, Klaus Hartmann, in seinem Grundsatzreferat den Selbstanspruch des Verbandes: Er stehe auf der „Grundlagen einer wissenschaftlichen Weltanschauung“ und es sei Aufgabe der Freidenker, „gegen die Enteignung der Meinungsfreiheit, für eine Kultur des selbständigen Denkens und des Widerstands einzutreten“. So wollen die Freidenker mit ihrem Verbandstag „sachliche, weltanschaulich fundierte und kämpferische Aufklärung setzen, gegen irrationale ideologische Angepasstheit“ und für „antiimperialistische Solidarität“ eintreten.

In der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 12. Juni 2006 wird über die Frankfurter Zusammenkunft wie folgt berichtet: „Über die originäre Zielsetzung, dem Eintreten gegen Gehirnwäsche, Volksverdummung und Zerstörung der Vernunft hinaus wurde deutlich, daß sich Freidenker in jedem Landesverband als Teil der kritischen sozialen Bewegung verstehen. In der Aussprache waren zentrale Themen unter anderem die Friedenspolitik, der Kampf gegen den Abbau demokratischer Rechte, gegen Studiengebühren und Hartz IV sowie die allgemeine soziale Lage.“ Autor dieser Zeilen ist Dieter W. Feuerstein. Während der deutschen Teilung war Feuerstein als sog. „Kundschafter des Friedens“ für die DDR-Auslandsspionage in Westdeutschland tätig. Seine geheimdienstliche Tätigkeit währte 21 Jahre. Zuletzt war er in einem Münchner Rüstungsbetrieb tätig, in dem Kampfflugzeuge wie Tornados und Eurofighter für die NATO gebaut wurden. Nach der Wiedervereinigung und seiner Enttarnung wurde Feuerstein zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren verurteilt. Das „W“ in seinem Namen steht übrigens für Walter (Ulbricht), der, so schreibt Dieter W. Feuerstein im Internet, „bei meiner Geburt (...) Pate stand“. Feuerstein publiziert heute in verschiedenen linken Medien und steht den Ideen des Freidenkerverbands nahe.

Zu den Ergebnissen der Konferenz gehören zahlreiche Beschlüsse, in denen man sich gewohnt kämpferisch gibt. Unterstützt werden sollen mannigfache Aktivitäten, z.B. Proteste gegen den Besuch des US-Präsidenten G. Bush, gegen das G-8-Treffen (Sommer 2007), gegen die NATO-Sicherheitskonferenz (Januar 2007) usw. Ferner wurde eine Resolution „gegen den Abbau demokratischer Rechte in der BRD“ verabschiedet. Wenige Tage nach dem Frankfurter Treffen versäumte der DFV nicht, sich sogleich mit einer Solidaritätserklärung an die Seite der gegen die Einführung von Studiengebühren protestierenden Studenten zu stellen, so wie man schon im Frühjahr 2006 die Streiks im Öffentlichen Dienst zumindest verbal unterstützt hatte.

Die allgegenwärtige kämpferische Attitüde und die in hohlen Phrasen daherkommende Sprache des DFV muten häufig wie Relikte aus der Zeit des „kalten Krieges“ an. Seine eilfertigen Solidaritätserklärungen erscheinen ebenso anachronistisch wie seine andauernde Pauschalkritik an den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik. So scheint den Freidenkern entgangen zu sein, dass sich die Rot-Grüne Bundesregierung gerade nicht am Irakkrieg beteiligt hat und inzwischen neue Machtverhältnisse im deutschen Bundestag herrschen.

Vollends scheinen die im DFV organisierten Freidenker den Blick für die politischen Realitäten verloren zu haben, wenn es um die Konflikte im Nahen Osten geht. Kann man über die US-Politik von G. Bush und manche Schieflage in der internationalen Politik im Einzelfall noch diskutieren, so ist dies schlechterdings unmöglich, wenn die Freidenker behaupten, dass sich „für das ‚Auslöschen Israels’ (...) kein Anhaltspunkt in Ahmadinedschads Originaltext“ finden ließe. Getreu dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Nun kennt wohl kaum jemand das Originalmanuskript einer Rede des iranischen Präsidenten – aber dass er immer wieder die Vernichtung Israels propagiert, daran kann kein Zweifel bestehen. Während der berüchtigten Teheraner Konferenz „Eine Welt ohne Zionismus“ erklärte Präsident Ahmadinedschad am 26. Oktober 2005: „Inschallah wird die Prophezeiung des Imam [Ajatollah Khomeini], Israel werde vernichtet, durch kontinuierliche Weisheit der Palästinenser auch bald realisiert werden. (...) Es ist machbar, dass dieser Schandfleck [Israel] aus der islamischen Welt getilgt wird“ (Handelsblatt vom 27.10.2005). Diese Grundaussage ist seither immer wieder variiert worden und im Übrigen nicht neu.

Sollte es möglichen Sympathisanten der Freidenker nicht zu denken geben, dass eine Organisation, die sich das „freie Denken“ auf die Fahnen geschrieben hat, immer wieder in die Nähe von ideologischen Fanatikern gerät?

Andreas Fincke