30 Jahre Yoga Vidya – Pandemie stoppt starkes Wachstum

Der größte Yoga-Anbieter Europas hat in den letzten zehn Jahren mehrere neue Seminarhäuser erworben, mittlerweile haben dort mehr als 23.000 Menschen eine Ausbildung zur Yoga-Lehrer:in abgeschlossen. Doch die Corona-Pandemie hat auch bei Yoga Vidya Spuren hinterlassen.

Melanie Hallensleben

In den letzten zehn Jahren ist Yoga Vidya stark gewachsen. Es wurden mehrere neue Seminarhäuser in Betrieb genommen, das Seminarprogramm wurde breiter aufgestellt und die eigene Yoga-Lehrer:innen-Ausbildung haben mittlerweile mehr als 23.000 (Stand 2022) Menschen abgeschlossen.1

Ausgehend von einer einzigen Yogaschule, die 1992 in Frankfurt a.M. gegründet wurde, hat sich Yoga Vidya mittlerweile als größter Yoga-Anbieter Europas etabliert. Das Zentrum der Gemeinschaft, ein Seminarhaus-Komplex in Horn-Bad Meinberg, bietet seit 2019 erstmals bis zu 1000 Menschen eine Übernachtungsmöglichkeit. Damit erfüllte sich Sukadev Volker Bretz (*1963), der Begründer und spirituelle Leiter von Yoga Vidya, einen lang gehegten Traum. Die Corona-Pandemie hat nun allerdings – wie bei anderen Religionsgemeinschaften auch – einen tiefen finanziellen Einschnitt mit sich gebracht und das Wachstum zunächst ausgebremst.

Entwicklung der Standorte in den letzten 10 Jahren

Die meisten Standorte von Yoga Vidya befinden sich in Deutschland. Es gibt vier Seminarhäuser, die als Ashrams bezeichnet werden: Westerwald (1996 in Betrieb genommen), Horn-Bad Meinberg (seit 2003), Nordsee (seit 2008) und Allgäu (seit 2013). Der Ashram in Horn-Bad Meinberg ist mit Abstand der größte Ashram und gleichzeitig das Zentrum von Yoga Vidya. Zudem gibt es 83 Yogaschulen, wovon die meisten ähnlich in Form eines Franchise-Prinzips konzipiert sind. Die Yoga-Schulen befinden sich hauptsächlich in verschiedenen deutschen Städten, daneben gibt es im europäischen Ausland jeweils eine Yoga-Schule in Rotterdam (NL), in Seekirchen am Wallersee (AUT) und in Málaga (ESP). Die Anzahl der Yogaschulen ist derzeit leicht rückläufig.

Yoga Vidya selbst ist ein eingetragener Verein, daneben hat Yoga Vidya noch einen Yogalehrenden-Verband: den „Berufsverband der Yoga Vidya Lehrer*innen (BYV)“, der über 5000 Mitglieder (Stand 2022) hat und damit erstmals den nicht-religiösen „Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland“ e.V. (BDYoga) (4950 Mitglieder, Stand 2022) überholt hat.

Der Ashram in Horn-Bad Meinberg besteht aus drei großen, mehrstöckigen vormaligen Kurklinikgebäuden, die sukzessive gekauft und in Betrieb genommen wurden (Inbetriebnahme 2003: erstes Gebäude namens Chakrapyramide; 2011: Haus Shanti; 2019: Haus Mahameru). Damit bietet der Ashram in Horn-Bad Meinberg 800 Übernachtungsgästen ein Bett, zusätzlich gibt es Zelt- und Wohnmobil-Möglichkeiten für 200 Personen.

Angesichts der Größe Yoga Vidyas überrascht es, dass in den vier Ashrams nur 250 hauptberufliche Gemeindemitglieder (Stand: 2022) tätig sind. Daneben gibt es noch 40 Angestellte. Die Gemeinschaft ist auf die ehrenamtliche Mitarbeit von ca. 400 weiteren Helfer:innen (Stand: 2022) angewiesen. Auch bei der Yoga-Lehrer:innen-Ausbildung, wenn sie denn im Ashram stattfindet, ist eine tägliche Arbeit im jeweiligen Seminarhaus vorgesehen. Diese Mithilfe (Dauer: 45 Minuten täglich), die als Karma-Yoga bezeichnet wird, kann beispielsweise in der Küche, im Garten oder im Reinigungsdienst stattfinden. In den letzten zehn Jahren gab es mehr als eine Verdoppelung der Gesamtzahlen der Absolvent:innen der Ausbildung, von 10.000 im Jahr 2012 auf 23.000 im Jahr 2022. In den Jahren von 2012 bis 2019 haben durchschnittlich 1500 Menschen pro Jahr und 2020/2021 ca. 500/Jahr die Ausbildung abgeschlossen. Die beachtliche Anzahl ist wahrscheinlich auf den relativ günstigen Preis zurückzuführen und darauf, dass die Ausbildung in allen Ashrams und vielen städtischen Yoga-Schulen angeboten wird. Allerdings werden bei Weitem nicht alle Absolvent:innen selbst Yoga-Lehrer:innen.

Wer sich in Deutschland für Yoga interessiert, wird bestimmt mit Yoga Vidya konfrontiert, was auch an der intensiven Werbekampagne liegt, die die Gemeinschaft betreibt, sei es im Internet oder in deutschsprachigen Yoga-Zeitschriften. So unterhält die Gemeinschaft mehrere YouTube-Kanäle mit insgesamt 50.000 Videos online, die durchschnittlich eine Abrufrate von insgesamt 25.000 pro Tag haben (Stand 2022).

Sukadev Volker Bretz, Gründer und spiritueller Leiter

Volker Bretz, geboren in Bad Kreuznach, wird innerhalb seiner Gemeinschaft nur mit seinem spirituellen Namen Sukadev angesprochen. Er ist der mittlere von drei Brüdern und wird als besonders begabtes Kind beschrieben, das ein großes Interesse an Religion und Philosophie hatte. Er lernte mit 15 Jahren autodidaktisch Meditationstechniken und begann daraufhin regelmäßig zu meditieren. Nach dem Abitur erwarb er 1983 einen Universitätsabschluss in Betriebswirtschaft. Danach standen Yoga und dessen Verbreitung im Mittelpunkt seines Lebens. Von 1981 bis 1991 war Bretz Schüler von Swami Vishnudevananda (1927-1993), dem Begründer der Internationalen Sivananda Yoga Vedanta Centres. Zeitweise stand er dort unter einem Mönchsgelübde. Bretz wurde Leiter verschiedener Sivananda-Ashrams und war eine Zeit lang persönlicher Assistent Vishnudevanandas. Ab 1991 gehen er und Vishnudevananda getrennte Wege, vermutlich aufgrund von Meinungsverschiedenheiten. In den Jahren 1987 und 1992 empfängt Bretz jeweils eine Vision vom verstorbenen Yoga-Meister Swami Sivananda (1887-1963) mit dem Auftrag, eine Yoga-Schule zu eröffnen, die die größte Yoga-Bewegung Europas werden solle. Bretz’ Wohnsitz ist im Seminarhaus in Horn-Bad Meinberg.

Entwicklungen unter der Corona-Pandemie

Yoga Vidya verzeichnete seit Beginn der Corona-Pandemie geringere Einnahmen aufgrund der Lockdown-Bestimmungen. Erschwerend kam hinzu, dass für die Inbetriebnahme von Mahameru, des dritten Gebäudes des Seminarhaus-Komplexes, ein Kredit aufgenommen wurde. Die Pandemie beendete vorerst den jährlichen Zuwachs von 2-4% an Übernachtungen im Ashram Horn-Bad Meinberg, der zuvor verzeichnet worden war. Vermehrt wurden ab Frühjahr 2020 Spenden eingeworben, da Yoga Vidya erst ab Sommer 2020 staatliche Corona-Hilfen erhielt.

In Teilen der deutschen Yoga-Szene kam es 2021 zu Kritik an den Corona-Maßnahmen, auch unter einigen Bewohner:innen des Ashrams in Horn-Bad Meinberg kamen Verschwörungserzählungen auf, und Impfungen wie auch weitere staatliche Maßnahmen wurden teils heftig kritisiert.2  Der offiziellen Homepage und Bretz’ Aussagen zufolge vertritt Yoga Vidya aber eine bejahende Einstellung zur evidenzbasierten Medizin und sprach sich gegen Verschwörungserzählungen aus.3  Bretz selbst empfahl eine Impfung:

„Da ich selbst [Sukadev, Anm. M. H.] im März 2020 Corona hatte und im August 2021 geimpft wurde, kann ich sagen: Die Coronaerkrankung scheint eine Art Grauschleier um die Aura und den Geist zu legen, spirituelle Erfahrung zu erschweren. Die Coronaimpfung selbst hat diesbezüglich gar keine Wirkung. Meine Meditation und meine Pranayama und Asana Praxis war genauso gut nach der Impfung wie vorher.“4

Bei einem persönlichen Gespräch (Oktober 2022) gab Bretz an, dass die Bewohner:innen des Ashrams in Horn Bad Meinberg entsprechend dem gesellschaftlichen Durchschnitt geimpft seien und mindestens sieben Personen den Ashram aufgrund des Konfliktes um die Verschwörungstheorien verlassen haben.

Religiöse Ausrichtung und Lehren

Bretz’ Yoga-Lehre ist „(neo)hinduistisch“ ausgerichtet, das gilt sowohl für seine Publikationen als auch für das Yoga-Lehrer:innen-Handbuch, das nicht käuflich erworben werden kann, sondern im Rahmen der Ausbildung ausgehändigt wird. Den Hindu-Religionen entlehnte Götter- und Menschenbilder und Rituale werden nach „neohinduistischer“ Lesart um ein inklusivistisches Religionsverständnis erweitert, indem insbesondere christliche und einige wenige muslimische und jüdische Anleihen gemacht werden.

War Yoga Vidya in seiner Entstehungsphase vor allem „neohinduistisch“ geprägt, ist seit ca. 2011 eine verstärkte Öffnung hin zu Themen aus der modernen Esoterik, „natur-feministischen“ sowie neoschamanischen Vorstellungen oder zeitgenössischen Ernährungstrends zu erkennen.5 Während die Themen der Seminare ursprünglich hauptsächlich um Yoga, Meditation, Atemübungen etc. kreisten, gibt es nun Seminare zu den Rauhnächten, zu Detox, Engeln, zum Enneagramm, Bäume-Umarmen, Familienaufstellen, „Frauenzirkel bei Vollmond“ oder zu Edelsteinen. Auch bei Yogastunden werden manchmal neopagane Vorstellungen aufgegriffen, so gibt es z. B. schamanische Traumreisen zum Krafttier oder -ort.

Auf dem Grundstück des Ashrams in Horn-Bad Meinberg befindet sich im Außenbereich ein Ort für eine schamanische und/oder naturreligiöse Praxis, hier sind Gött:innen-Figuren, Engel oder ein Einhorn sowie Opfer-Darbietungen aus Naturmaterialien zu finden. Trotz dieser thematischen Öffnung ist weiterhin die große Mehrheit der Seminare klassisch im Themenbereich Yoga zu verorten.

Eine Korrektur in Bezug auf die religiösen Quellen beschloss die Gemeinschaft mit dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle von Swami Vishnudevananda. Seine Portraits bei Yoga Vidya wurden daraufhin im Altarbereich entfernt. An den Wänden abseits der Altäre sind aber weiterhin vereinzelt Bilder von Vishnudevananda zu finden.

Die Öffnung hin zu weiteren religiösen Vorstellungen macht Yoga Vidya für ein breiteres Publikum attraktiv. Gleichzeitig vergrößert Yoga Vidya damit aber auch seine personelle und lehrbezogene Schnittmenge mit der modernen Esoterik. Yoga Vidya ist, auch wenn derzeit noch Folgen der Pandemie zu spüren sind, ein einflussreicher Player in der deutschen Religionslandschaft, vor allem im Bereich des Yoga und der modernen Esoterik.


Melanie Hallensleben

 

Quellen:

Elsa Anzenberger, Guido Telscher, Maike Kaivalya Schönknecht [verantwortliche Textauswahl]: Yoga Vidya. Entstehung, Entwicklung, Leben im Ashram. Yoga Vida Verlag, Horn Bad Meinberg 2022. Die

Geschichte des Yoga Vidya e.V.: https://www.yoga-vidya.de/netzwerk/yogavidya0/geschichte/ (05.01.2023).

Satzung des Yoga Vidya e.V.: https://www.yoga-vidya.de/netzwerk/yogavidya0/vereinssatzung/ (05.01.2023).


Anmerkungen:

1 Zu Yoga Vidya siehe auch: Horst-Dieter Mellies: Bad Meinberg bald „Yogastadt“? (2013) https://www.ezw-berlin.de/publikationen/artikel/bad-meinberg-bald-yogastadt/.

2 Melanie Hallensleben: Verschwörungserzählungen in der Yoga-Szene (2021) https://www.ezw-berlin.de/publikationen/artikel/verschwoerungserzaehlungen-in-der-yoga-szene/.

3 Weiter hierzu: Statement des Vorstands des Yoga Vidya e.V. zu Demokratie, Meinungsfreiheit und sogenannten Verschwörungstheorien, 09.06.2020 https://blog.yoga-vidya.de/statement-des-vorstands-des-yoga-vidya-e-v-zu-demokratie-meinungsfreiheit-und-sogenannten-verschwoerungstheorien/ (05.01.2023).

4 Corona Impfung und Yoga, 29.09.2021 https://blog.yoga-vidya.de/corona-impfung-und-yoga/ (05.01.2023).

5 Friedmann Eißler: 20 Jahre Yoga Vidya (2012) https://www.ezw-berlin.de/publikationen/artikel/20-jahre-yoga-vidya/ (21.12.2022).

Ansprechpartner

Foto Melanie Hallensleben M.A.Melanie Hallensleben M.A.
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Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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