Lobbykonkurrenz im säkularen Spektrum: Zur Gründung des „Zentralrats der Konfessionsfreien“

Der ehemalige „Koordinierungsrat säkularer Organisationen“ (KORSO) tritt nun mit neuem Selbstverständnis und Anspruch auf – und erntet dafür in der säkularen Szene nicht nur Applaus.

Martin Fritz

„Wir begleiten Deutschlands Weiterentwicklung zum säkularen Staat“, so lautet die Verheißung eines neuen Players auf dem Feld der Religions- und Weltanschauungspolitik: Im Mai diesen Jahres hat sich der neue „Zentralrat der Konfessionsfreien“ der Öffentlichkeit mit einer Website2, einem Programmpapier3 und einer Pressekonferenz4 vorgestellt. Die neue Vereinigung ist indessen nicht wirklich neu, sondern ersetzt einen anderen säkularen Zusammenschluss, den „Koordinierungsrat säkularer Organisationen e.V.“ (KORSO), der sich mit der Neugründung auflöste. Es handelt sich also eigentlich um eine Umbenennung, allerdings verbunden mit einem neuen Selbstverständnis, Anspruch und Auftreten.5

Der Wandel im Selbstverständnis lässt sich schon am neuen Namen ablesen. Der „Koordinierungsrat“ wurde 2008 gegründet, um verschiedene säkulare Organisationen mit ihren teils sehr unterschiedlichen Traditionen und Intentionen überhaupt miteinander ins Gespräch zu bringen und dabei gemeinsame Positionen (oder zumindest thematische Kompromisslinien) zu erarbeiten. Im Fokus stand also die interne Abstimmung innerhalb des säkularen Verbandspektrums; die öffentlich-politische Vertretung gemeinsamer Anliegen nach außen war eher der mittel- oder langfristige Horizont des Vereins. Mit der Verwandlung in einen „Zentralrat“ – analog zum „Zentralrat der Juden“ oder dem „Zentralrat der Muslime“ – wird nun offensichtlich die externe Interessenvertretung zum Hauptzweck. Mit dem Namen wird unmissverständlich der Anspruch einer „zentralen“ gesellschaftlichen und politischen Repräsentanz „der Konfessionsfreien“ erhoben. Aus einer Verständigungsplattform säkularer oder humanistisch-atheistischer Verbände soll die maßgebliche politische Lobbyorganisation für alle „konfessionsfreien“ Bürgerinnen und Bürger Deutschlands werden.6

Die programmatische Wendung nach außen erweckt den Anschein, als sei die jahrelange Koordinierungsarbeit zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen, so dass die vereinigte säkulare Szene nun in die Phase der kraftvollen politischen Einflussnahme eintreten kann. Tatsächlich hängt die Transformation aber auch mit einem Scheitern der vormaligen Koordinationsbemühungen zusammen. So war im März 2021 der „Humanistische Verband Deutschlands“ (HVD) aus dem KORSO ausgetreten. Der Grund: Man hatte sich auf zentralen Feldern gerade nicht auf gemeinsame Anliegen verständigen können.

Dabei ging es hauptsächlich um die Frage der Kooperation von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit dem Staat. Deren Möglichkeit ist im Grundgesetz mit dem Prinzip der „kooperativen Trennung“ festgeschrieben. Demzufolge können staatliche Institutionen, unbeschadet ihrer grundsätzlichen weltanschaulichen Neutralität, mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zusammenarbeiten bzw. deren Arbeit fördern, wenn darin – vor allem auf den Gebieten Wertebildung und Sozialfürsorge – ein staatlich-gesellschaftliches Interesse erkannt wird, also etwa bei der frühkindlichen Erziehung, beim Religions- oder Weltanschauungsunterricht in der Schule, bei der Studierendenförderung, der Militär- und Gefängnisseelsorge oder der Sozial-, Senioren- und Hospizarbeit. Dies unterscheidet die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates gemäß dem deutschen Grundgesetz von einem strikt „säkularistischen“ oder „laizistischen“ Staatsverständnis (wie beispielsweise in Frankreich), das derartige Kooperationen ausschließt.

Weil man sich in der prinzipiellen weltanschauungspolitischen Frage der Befürwortung oder Ablehnung jener – aus säkularistischer Perspektive allenfalls „halben“ – Trennung von Staat und Religions-/Weltanschauungsgemeinschaften nicht einigen konnte, entschloss sich der HVD zum Austritt aus dem KORSO.7 Im Koordinierungsrat dominierten die Kräfte, die eine laizistische Trennung verfolgen und gegen die staatlichen „Privilegien“ von Kirchen und Religions-/Weltanschauungsgemeinschaften zu Felde ziehen. Die Politik des HVD ist es hingegen seit Jahren, mit dem Staat solche Kooperationen einzugehen und entsprechende „Privilegien“ für sich selbst einzufordern, um, in der kirchenanalogen Organisationsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, auf den Gebieten Bildung und Soziales mit eigenen säkular-humanistischen Angeboten präsent zu sein.

Mit dem Gegenüber von HVD und „Zentralrat der Konfessionsfreien“ ist nun innerhalb des säkularen Spektrums deutlicher als zuvor eine Konkurrenz weltanschauungspolitischer Lobbyorganisationen zutage getreten, die in wesentlichen Aspekten konträre Ziele und Strategien verfolgen:8 Auf der einen Seite steht eine säkularistische Lobby, die auf die Abschaffung jeglicher staatlichen Förderung religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften dringt, auf der anderen Seite eine „praktisch-humanistische“9 Interessenvertretung, die eine angemessene Berücksichtigung säkularer Bildungs- und Unterstützungsangebote bei der staatlichen Förderung anstrebt.10

Eine ausführlichere Fassung dieses Artikels erscheint in der Zeitschrift für Religion und Weltanschauung (Heft 5/2022).

Martin Fritz
 

Anmerkungen

1 www.konfessionsfrei.de, im Titelslogan der Website.

2  www.konfessionsfrei.de

Zentralrat der Konfessionsfreien: Die Säkulare Ampel. Zwölf Chancen für die offene Gesellschaft (https://konfessionsfrei.de/saekulare-ampel/).

Die Pressekonferenz fand am 19.05.2022 im Haus der Bundespressekonferenz statt. Sie wurde auch online übertragen und ist noch bei YouTube anzusehen (https://youtu.be/ds1WPUSl_ac).

Die Umbenennung wurde mit der Verabschiedung der neuen Satzung des KORSO am 19.09.2021 beschlossen. Vgl. Stellungnahme des HVD-Bundesvorstandes zur Gründung des Zentralrats der Konfessionsfreien, humanismus.de, 15.11.2021 (https://humanismus.de/presse-aktuelles/aktuelles/stellungnahme/2021/11/hvd-stellungnahme-zum-zentralrat-der-konfessionsfreien).

Im „Zentralrat“ sind folgende Organisationen zusammengeschlossen: „Bund für Geistesfreiheit“ (bfg) Bayern, „Bund für Geistesfreiheit“ (bfg) München, „Bundesarbeitsgemeinschaft humanistischer Studierender“, „cum ratione. Gesellschaft für Aufklärung und Technik gGmbH“, „DA! Düsseldorfer Aufklärungsdienst e.V.“, „Giordano Bruno Stiftung“ (gbs), „Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V.“, „Jugendweihe Deutschland e.V.“, „KORTIZES. Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs“, „roter baum“, „ARR. Säkulare Flüchtlingshilfe Berlin e.V.“, „Säkulare Flüchtlingshilfe Deutschland“, „Stiftung Geistesfreiheit“.

Vgl. die Presseerklärung des HVD-Bundesverbands vom 19.03.2021: Der Humanistische Verband Deutschlands beendet seine Mitgliedschaft im Koordinierungsrat säkularer Organisationen, humanismus.de, 29.3.2021 (https://tinyurl.com/352tdjz7); ferner Daniela Wakonigg, HVD beendet Mitgliedschaft im KORSO, hpd, 19.03.2021 (https://hpd.de/artikel/hvd-beendet-mitgliedschaft-im-korso-19143).

Völlig neu ist eine derartige Konkurrenz natürlich nicht. Zuletzt wurde solches Ende 2019 mit der Trennung des Landesverbands Bayern vom HVD samt Umbenennung in „Humanistische Vereinigung“ sichtbar; siehe dazu die Pressemeldung des HVD-Bundesverbands vom 13.08.2020: Abspaltung des ehemaligen Landesverbands Bayern vom HVD, humanismus.de (https://tinyurl.com/3pjvz36z).

 „Praktischer Humanismus“ ist ein Leitbegriff im Selbstverständnis des HVD (vgl. https://humanismus.de/ueber-uns/praktischer-humanismus/), aber auch der „Humanistischen Vereinigung“ (vgl. https://tinyurl.com/yc2w62br).

10  Diese idealtypisch sehr klar zu unterscheidenden Flügel des säkularen Spektrums sind realiter nicht immer so klar zu scheiden, weil auch hier – wie vermutlich bei den meisten Bewegungen und Organisationen – die eigenen Prinzipien nicht immer konsequent durchgehalten werden. So kommt es etwa, dass die an sich entschieden säkularistisch ausgerichtete Giordano-Bruno-Stiftung als eine der Trägerinstitutionen des humanistischen Bertha von Suttner-Studienwerks durchaus staatliche Förderung für diese säkulare Institution fordern kann. Derartige Selbstwidersprüche versucht man meist durch einen zeitlichen Vorbehalt zu bereinigen: Nur so lange die „Kirchen“ u.a. noch staatliche Privilegien erhalten, will man die nämlichen Privilegien auch für sich in Anspruch nehmen – und gleichzeitig nichtsdestoweniger und um nichts weniger scharfzüngig für die generelle Abschaffung solcher Privilegien kämpfen. Vgl. dazu Martin Fritz, Humanistische Begabtenförderung: Bertha von Suttner-Studienwerk gegründet, in: ZRW 84/3 (2021), 167–173 https://www.ezw-berlin.de/publikationen/artikel/humanistische-begabtenfoerderung/).

Ansprechpartner

Foto Dr. Martin FritzPD Dr. theol. Martin Fritz
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin