Kritik am Antisemitismus in der „Black Lives Matter“-Bewegung

Seit einigen Wochen gehen die Bilder der internationalen „Black Lives Matter“-Proteste (BLM) gegen die strukturelle Diskriminierung von Schwarzen durch staatliche Sicherheitsbehörden um die Welt. Die globale Resonanz dieser Bewegung zeigt, dass die Protestierenden ein Problem von großer Relevanz und hoher Aktualität ansprechen. Immer wieder kommt es dabei jedoch auch zu Solidarisierungsversuchen von der falschen Seite. Kai Funkschmidt berichtet über Versuche, BLM antisemitisch zu vereinnahmen.

Kai Funkschmidt

Anders als Deutschland wird in englisch- und französischsprachigen Medien zunehmend Kritik an antisemitischen Zügen der der „Black Lives Matter“-Bewegung (BLM) laut. Die BLM-Proteste, die nach dem durch exzessive Polizeigewalt verursachten Tod des Afro-Amerikaners George Floyd bei seiner Verhaftung Ende Mai begannen, führten vielerorts zu Gewaltausbrüchen, bei denen sich auch Judenhaß artikulierte und jüdische Einrichtungen angegriffen wurden. 
 
BLM wurde 2013 von drei schwarzen Aktivistinnen aus Protest gegen den Freispruch eines Nachbarschaftswächters gegründet, der einen schwarzen Jugendlichen erschossen hatte. Sie richtet sich gegen eine ihrer Ansicht nach systematische und rassistisch motivierte Gewalt der amerikanischen Polizei gegen Schwarze. Denn nur Rassismus könne erklären, daß schwarze Amerikaner bezogen auf ihren Bevölkerungsanteil proportional häufiger von der Polizei getötet werden als Weiße, Latinos und Asiaten. Über „racial profiling“ und strukuterellen Rassismus wird derzeit intensiv diskutiert. Es wird etwa argumentiert, dass die überproportionale Todesrate von Schwarzen verschwinde, wenn man sie in Beziehung zur ebenfalls überproportionalen Gewaltkriminalitätsrate statt zum Bevölkerungsanteil setzt. Zuletzt war die Bewegung in Straßenprotesten 2016 nach einem weiteren Todesfall aufgeflammt. Im Sommer 2020 erfährt sie erstmals eine breite gesellschaftliche Unterstützung, und verbreitet sich auch international. 

Die meisten nun kritisierten Vorfälle fanden in den USA statt, aber auch in Europa zeigen sich antisemitische Probleme bei BLM.  Mitte Juni wurden auf einer Antirassismus-Demo in Paris von Palästinenserflaggen schwingenden Demonstranten Plakate mit den Aufschriften “Israel, Laboratorium der Polizeigewalt“, „Wer ist der Terrorist?“, „Palästina den Palästinensern! Boykottiert Israel“ gezeigt. Über den Place de la République scholl der Ruf „Dreckige Juden!“. Der Chef der linksextremen Partei La France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon (mit fast 20% Stimmenanteil dritter Platz bei der Präsidentsschaftswahl 2017), erklärte, dies sei nicht antisemitisch.

Neben der engen Verbindung zur linksextremen Szene bis hin zur „Antifa“ wird auch der Schulterschluß mit der israelfeindlichen BDS-Kampagne (Boycott, Divestment, Sanction) als Grund für die antisemitischen Elemente von BLM diagnostiziert. BDS und BLM erklären sich seit Jahren gegenseitig ihre Solidarität. BDS vergleicht auf seiner deutschen Webseite den mutmaßlichen Mord an einem wehrlosen Schwarzen mit dem angeblich üblichen Umgang Israels mit Arabern: „So, wie die israelischen Besatzungstruppen dazu dienen, das Apartheidsystem gegen die Palästinenser*innen weiter zu verfestigen, so dienen die US-Polizeikräfte nur dazu, das System der Vormachtstellung und Privilegien der US-amerikanischen Weißen weiter zu verfestigen … An unsere schwarzen Brüder und Schwestern:Eure Widerstandsfähigkeit angesichts der brutalen Entmenschlichung ist uns eine Quelle der Inspiration für unseren eigenen Kampf gegen das israelische Besatzungsregime, den Siedlerkolonialismus und die Apartheid.“ Dabei würde „Israels Unterdrückungsregime“ die „indigene Bevölkerung Palästinas mit bedingungsloser Unterstützung der US-Regierung … enteignen [und] ethnisch … säubern“.1

Antisemitismus bei BLM ist dabei kein neues Phänomen. BLM-Mitgründerin Patrisse Cullors war schon 2015 Mitunterzeichnerin der Erklärung „Black for Palestine“. Darin werden „Solidarität mit dem palästinensischen Kampf um Befreiung“ und ein Ende von Israels „Besatzung Palästinas“ gefordert, dazu wird um Unterstützung für die Boykottbewegung BDS geworben.2  Am 1.8.2016 publizierte BLM eine Programmschrift3, in der man uneingeschränkte Unterstützung für die „Befreiung Palästinas“ und für BDS sowie die Ablehnung des „Apartheidsstaats Israel“ erklärte. Dieser verübe mit US-amerikanischer Unterstützung eine „Genozid“ am palästinensischen Volk. „Black Lives Matter and Palestine: A historic alliance“ titelte der New Yorker Professor Hamid dabashi dazu auf Al-Jazeera und identifizierte die „Siedlerkolonie in Israel“ mit den amerikanischen Juden in ihrem „imperialen Lebensraum“.4  Dieses BLM-Palästina-Bündnis bezeichnet sich teilweise als „Weaponized Intersectionality“ (bewaffnete Intersektionalität). 

Das BLM Manifest zog 2016 scharfe Kritik jüdischer Organisationen auf sich. Amerikanische Juden waren von der Entwicklung auch deshalb überrascht, weil sich das organisierte Judentum jahrzehntelang aktiv für die Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings und später für BLM eingesetzt hatte.5 Paradoxe Auswirkungen hat die Entwicklung auf schwarze Juden, die sich plötzlich zwischen den Fronten sehen und bei BLM unerwünscht sind, unter anderem, weil Juden die Medien kontrollieren sollen. Als die englische Journalistin Nadine Batchelor-Hunt einen antisemitischen Tweet der britischen BLM-Bewegung kritisierte, schrieb sie explizit im Duktus der BLM-typischen Identitätspolitik „as a Black Jewish woman“ und erlärte ihre grundsätzliche Unterstützung von BLM.6 Trotzdem wurde sie danach als „white supremacist zionist whore" beschimpft. Für Teile von BLM sind Juden jeder Hautfarbe immer schon „Weiße“ und damit aus Rassegründen der natürliche Feind. Ähnliches erlebte die bekannte Reformrabbinerin Susan Talve aus St Louis. Sie unterstützt prominent, sogar bei religiösen Feiern im Weißen Haus, BLM und viele andere Anliegen (gegen Islamophobie, Rassismus, Transphobie usw.). Aber als sie sich in Kommentaren zu BLM weigerte, die Existenz Israels in Frage zu stellen, wurde ihr aus der Bewegung Unterstützung von Genozid und Apartheid vorgeworfen und sie erhielt Todesdrohungen.7

Bei alldem darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass es hier um eine extremistische, wenngleich lautstarke Minderheit innerhalb der BLM-Bewegung geht. Auch unter Afro-Amerikanern sympathisieren weit über doppelt soviele mit Israel wie mit den Palästinensern.8 Sie stehen in der Tradition Martin Luther Kings, dessen Bewegung viele Juden unterstützten. Viele Afro-Amerikaner fühlen sich aufgrund ihres intensiven christlichen Glaubens nicht zuletzt religiös mit Israel verbunden. Viel kleiner ist die Gruppe jener Schwarzen, die Israel und Juden hassen, viele von ihnen neigen entweder zum Islam oder zum Linksrextremismus und oft zur Militanz. Ihr Leitbild ist nicht mehr Martin Luther King, sondern Antisemiten wie Malcolm X, Louis Farrakhan und Angela Davies, deren Bilder auch von BLM-Aktivisten auf Demonstrationen hochgehalten werden.

Kai Funkschmidt

Anmerkungen
1 BDS Minneapolis: Wir können nicht atmen, bis wir frei sind! Palästinenser*innen stehen in Solidarität mit den Schwarzen in den USA, 30.5.2020, http://bds-kampagne.de/2020/05/30/wir-koennen-nicht-atmen-bis-wir-frei-sind-palaestinenserinnen-stehen-in-solidaritaet-mit-den-schwarzen-in-den-usan, Abruf 21.7.2020).
http://www.blackforpalestine.com/read-the-statement.html# (Abruf 21.7.2020).
3 The Movement for Black Lives. Policy Demands for Black Power, Freedom & Justice, 2016. Das Dokument ist in seiner ursprünglichen Gestalt heute nicht mehr auf der damaligen Quelle auffindbar (https://policy.m4bl.org/platform/), wird aber in vielen zeitgenössischen Texten zitiert.
4 Hamid Dabashi 6.9.2016 (https://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2016/09/black-lives-matter-palestine-historic-alliance-160906074912307.html, Abruf 21.7.2020). Der Autor ist Iranistikprofessor in New York.
5 AJC: Movement for Black Lives Disparages Jews, Israel, New York 2016 (https://www.ajc.org/news/ajc-movement-for-black-lives-disparages-jews-israel).
6 As a Black Jewish woman, here's why I thought that Black Lives Matter UK tweet was antisemitic, Glamour 3.7.2020 (https://www.glamourmagazine.co.uk/article/black-lives-matter-antisemitic-tweet, Abruf 14.7.2020).
7 Guttman, Nathan / Lokting, Britta: Can Jews Back #BlackLivesMatter and Be Pro-Israel? Forward December 21, 2015 (https://forward.com/news/327466/can-jews-back-black-lives-matter-and-be-pro-israel/, Abruf 21.7.2020). Trotzdem unterstützt sie BLM weiter (Rabbi Susan Talve and Sarah Barasch-Hagans: 10 Rules for Engagement for White Jews Joining the #BlackLivesMatter Movement, 2020 https://www.truah.org/resources/10-rules-for-engagement-for-white-jews-joining-the-blacklivesmatter-movement/, Abruf 21.7.2020).
https://news.gallup.com/poll/189626/americans-views-toward-israel-remain-firmly-positive.aspx.

Ansprechpartner

Foto Dr. Kai FunkschmidtDr. theol. Kai Funkschmidt
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin