Ist die Ahmadiyya eine „islamische Sekte“? Urteil zu kritischen Äußerungen über die Ahmadiyya

Anfang Februar entschied das OLG Frankfurt a.M. über die Frage, ob die Ahmadiyya-Gemeinschaft als „islamische Sekte“ bezeichnet werden dürfe. Friedmann Eißler setzt sich kritisch mit diesem Urteil und dem darin verwendeten Sektenbegriff auseinander.

Friedmann Eißler
Außenansicht der Baitul-Futuh-Moschee der Ahmadiyya Gemeinschaft, London

Ist die Ahmadiyya eine „islamische Sekte“? Die Soziologin und islamkritische Publizistin Necla Kelek hat es in einem Interview im Deutschlandfunk 2017 behauptet und jetzt vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main Recht bekommen. Es handle sich um eine zulässige reine Meinungsäußerung. Das Landesgericht hatte dies noch anders gesehen. Es ging in dem Prozess um eine Reihe von islamkritischen Aussagen, gegen die die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) geklagt hatte. Dabei wurden weitere als Meinungsäußerungen für zulässig erklärt, so etwa die Aussage, die Ahmadiyya wolle den Islam „wortwörtlich umgesetzt sehen“, oder die Meinung, die Ahmadiyya setze sich nicht (genügend) mit dem Koran, insbesondere mit den „Gewaltstellen im Koran“, auseinander. Auch die Äußerung, bei der Ahmadiyya könne nicht jeder ein- und austreten (da Druck auf Mitglieder ausgeübt werde), wurde als Meinungsäußerung bewertet. 

Bei anderen Äußerungen hat die AMJ Anspruch auf Unterlassung: So dürfe nicht behauptet werden, dass sie ihren „Status“ zur Durchsetzung ihrer „politischen Agenda“ nutze. Ebenso sei zu unterlassen, die Moscheen der AMJ als „Orte der Männer“ zu bezeichnen. 

Zum Sektenbegriff hieß es im Urteil, dieser sei vielschichtig und mehrdeutig und damit ohne beweisbaren Tatsachenkern. Dem ist zweifellos so. Der klassische theologische bzw. konfessionskundliche Begriff der Sekte (von lat. sequi „folgen“) bezeichnet eine Richtung, Partei oder Gefolgschaft. Auch als „Abspaltung“ begriffen, ist daraus sehr schnell ein (ab-)wertender Begriff von einem angeblich überlegenen normativen Standpunkt aus geworden. Ab den 1970er Jahren sprach man im Blick auf neureligiöse Bewegungen negativ von „Jugendsekten“. Heute wird vor allem Konfliktträchtigkeit und Manipulation von Gruppenmitgliedern mit dem säkularisierten umgangssprachlichen Sektenbegriff verbunden.

Die Ahmadiyya ist tatsächlich eine „häretische“ Abspaltung vom sunnitischen Islam, die mit dem eigenen, sich auf den lebenden „Nachfolger des Verheißenen Messias“ (Khalifatul Masih) gründenden Selbstverständnis auch einen eigenen Wahrheitsanspruch verbindet. Wir haben hier den einmaligen Fall, dass die gesamte Gefolgschaft der Ahmadi-Kalifen in ihrem Herkunftsland Pakistan und von der Islamischen Weltliga aus der islamischen Gemeinschaft „exkommuniziert“ wurden, ein im Islam unerhörter Vorgang. Aus diesem Grund sprechen auch viele Muslime von der Ahmadiyya als „Sekte“, während diese selbst sich als „Reformgemeinde“ sieht.

In unserem gesellschaftlichen Kontext freilich muss klar sein, dass „Sekte“ eine stigmatisierende Fremdbezeichnung mit einem starken Machtgefälle ist. Die Bundestags-Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ empfahl schon 1998, in staatlichem Zusammenhang die Bezeichnung „Sekte“ nicht mehr zu verwenden – ein wichtiges Signal zur Versachlichung und Differenzierung der Einschätzung neuer religiöser Bewegungen. Christlicherseits darf der innerislamische ausgrenzende Sektendiskurs gegenüber den Ahmadis nicht unterstützt oder gar geteilt werden.  

Das OLG-Urteil vom 6.2.2020 ist noch nicht rechtskräftig. Beide Seiten können vor den Bundesgerichtshof ziehen.

Friedmann Eißler 

Pressemitteilung zum Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 6.2.2020 mit weiteren Begründungen

EZW zum Sektenbegriff („Was ist eine Sekte?“) Download pdf-Datei