EKD-Papier „Religiöse Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit“

Wie als Kirche auf die wachsende Zahl Konfessionsloser zugehen? Dieser Frage widmete sich kürzlich ein EKD-Grundlagentext. Martin Fritz stellt diese Publikation vor, in der der EZW eine herausgehobene Rolle zugeschrieben wird.

Martin Fritz
Titelblatt EKD-Publikation Religiöse Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit

Plädoyer für eine Wendung nach außen – EKD-Schrift zu Bildung und Konfessionslosigkeit

Angesichts des wachsenden Bevölkerungsanteils Konfessionsloser in Deutschland (derzeit ca. 36%) hat die „Kammer der EKD für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend“ einen Grundlagentext erarbeitet, in dem sie für deren stärkere Berücksichtigung im kirchlichen Handeln wirbt. Mit der Schrift „Religiöse Bildung angesichts von Konfessionslosigkeit – Aufgaben und Chancen“ wird erstmals das Verhältnis der evangelischen Kirche zu den Mitmenschen, die weder einer Kirche noch einer anderen Religionsgemeinschaft angehören, in einer EKD-Publikation systematisch reflektiert. Besonders in der kirchlichen Bildungsarbeit sehen die Autorinnen und Autoren ein unausgeschöpftes Potential, die vielfach vorhandenen Kontakte mit Konfessionslosen für einen werbenden Dialog zu nutzen, um bei ihnen einen Sinn für die Lebensrelevanz des Christentums zu wecken.

Zwar gibt es, was den Anteil Konfessionsloser in Deutschland betrifft, nach wie vor große regionale Unterschiede, etwa zwischen (Groß-)Stadt und Land sowie zwischen West und Ost, wo sich eine stabile „Kultur der Konfessionslosigkeit“ (Detlef Pollack) etabliert hat. Dennoch trifft es für ganz Deutschland zu, dass Zugehörigkeit wie Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft mittlerweile als gleichberechtigte Optionen gelten. In dieser Situation ist es aus EKD-Sicht dauerhaft notwendig, die Zugehörigkeit zum Christentum bzw. zu einer christlichen Kirche in der Konkurrenz der Möglichkeiten als eine bedenkenswerte, gewinnbringende und lebensdienliche Option auszuweisen. Dies hat in der Begegnung mit einzelnen zu geschehen, die womöglich noch gar keine nennenswerte Erfahrung mit Christentum und Kirche haben, aber auch in der öffentlichen Auseinandersetzung mit den religiös-weltanschaulichen Alternativen. Insgesamt gewinnt also die apologetische Aufgabe der Plausibilisierung des Christlichen im Horizont nicht-christlicher Welt- und Lebensdeutungen an Gewicht. Dementsprechend weist die Studie der Arbeit der „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ besondere Bedeutung zu.

Bei der Wendung „nach außen“ ist freilich in Rechnung zu stellen, dass die mit dem formalen Kriterium der ‚Konfessionslosigkeit‘ etikettierte Bevölkerungsgruppe hinsichtlich der Beziehung zum Religiösen in sich hochgradig heterogen ist. Die Bandbreite reicht von entschiedener Religionsfeindschaft bis zu lebendigem spirituellem Interesse, bei einem breiten Mittelfeld religiöser Indifferenz. Es wird in der Studie empfohlen, zuallererst theologische Anstrengungen zu unternehmen, um die besagte „Gruppe“ in der Vielfalt und inneren Komplexität ihrer Weltbilder und Lebenshaltungen genau wahrzunehmen und zu beschreiben. 

Wie aber können Theologie und Kirche an die betreffenden Anschauungen und Haltungen anknüpfen, um die christliche Welt- und Lebensdeutung als eine relevante und überzeugende Option ins Spiel zu bringen? Die Autorinnen gehen davon aus, dass bei konfessionslosen Menschen existentielle Fragen, Interessen und Einstellungen identifizierbar sind, die sich vermöge theologischer Deutungskunst auf „religioide“ (Georg Simmel), also „religionsartige“ oder religiös relevante Facetten hin verständlich machen und in christlich-religiöse Vorstellungen und Einstellungen „übersetzen“ lassen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens beispielsweise kann auf diese Weise als Frage nach Gott als der absoluten Quelle von Sinn interpretiert und der Gottesglaube solchermaßen als existentielle Sinngewissheit zugänglich gemacht werden. In diesem Zusammenhang nimmt die Schrift auch die Formel von der „Kommunikation des Evangeliums“ (Ernst Lange, Christian Grethlein) als Leitmaxime für den Umgang mit Konfessionslosen in Anspruch. Die Schlüsselaufgabe der kirchlichen Hinwendung zu den Außenstehenden kann dann auch so gefasst werden, dass „das Evangelium“ in deren Lebenswirklichkeit „übersetzt“ werden müsse.

Ungeachtet dieser traditionelleren Formulierung dominiert in dem Text insgesamt der Geist protestantischer Vermittlungstheologie. Dies drückt sich auch in den beschriebenen Grundsätzen und Aufgaben für die Ausrichtung des kirchlichen (Bildungs-)Handelns auf die konfessionslosen Mitmenschen aus. Hier wird unter anderem auf den Wert der Vielfalt von Frömmigkeitsformen und auf das hohe Vermittlungspotential der kulturellen Zeugnisse des christlichen Abendlandes in Kunst, Architektur, Literatur und Musik hingewiesen. Bei alledem ist die Überzeugung leitend, dass die kirchliche Arbeit nur durch eine entsprechende Prioritätensetzung größere Ausstrahlung über den Binnenraum der Kirche hinaus gewinnen kann. Dass sich eine derartige Umorientierung „nach außen“ sofort in Form von Kircheneintritten „auszahlen“ werde, wird nicht behauptet. Dass hingegen ein Gewinn an Ausstrahlung, Relevanz und Glaubwürdigkeit nach außen in jedem Falle einen Gewinn für das Fortbestehen auch des kirchlichen Christentums darstellt, steht für die Autoren des Grundlagentextes außer Frage.

Martin Fritz

Der Text kann als pdf-Datei heruntergeladen werden unter: https://www.ekd.de/Aktuelle-Publikationen-24065.htm

Ansprechpartner

Foto Dr. Martin FritzPD Dr. theol. Martin Fritz
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin