Bericht vom 21.02.2024

Frieden denken, glauben, erbeten und ermöglichen

EKD-Friedenswerkstatt über zivile Konfliktbearbeitung in Zeiten eskalierender Gewalt

Rüdiger Braun

Die erheblichen Veränderungen in der globalen politischen Architektur, die der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 impliziert, stellt auch die innerkirchliche Debatte um die Friedensethik vor neue Herausforderungen und friedensethische Positionierungen auf den Prüfstand. Was den protestantischen Bereich betrifft, so markiert zwar die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 (Aus Gottes Frieden leben, für gerechten Frieden sorgen) in ihrem Bestreben, divergierende Positionierungen in einen Ausgleich zu bringen bzw. zumindest zu integrieren, immer noch eine zentrale Referenz zeitgenössischer protestantischer Friedensethik. Doch die seither zugenommenen Sensibilitäten für geostrategische Überlegungen, postkoloniale Kritiken und die Stimmen des globalen Südens fordern die evangelischen Kirchen und mit diesen auch die EKD zu einer Neujustierung bzw. Weiterentwicklung ihrer friedensethischen Positionierung(en) heraus. Seit der sogenannten, vom Bundeskanzler am 27. Februar 2022 ausgerufenen „Zeitenwende“ hat die in unterschiedlichen Evangelischen Akademien (Bad Boll, Berlin, Villigst und Loccum) veranstaltete „Friedenswerkstatt“ der EKD mittlerweile vier Konsultationen abgehalten, die in einem breit angelegten partizipativen und konsultativen Prozess die Erstellung eines neuen friedensethischen EKD-Grundlagenpapiers mit begleiten sollen.

Evangelische Friedensethik und moral communities

Die Mitte März 2024 in Loccum abgehaltene vierte Konsultationsrunde widmete sich der friedensethischen Debatte im Horizont der Frage der Bedeutung ziviler Konfliktbearbeitung, die als eine der Fundamente protestantischer Friedensethik im Zuge der gegenwärtigen Bestrebungen, die „Kriegstüchtigkeit“ der Bundeswehr zu stärken, in der Gefahr stehe, „an den Rand gedrängt“ zu werden. Angesichts einer zunehmenden Zahl gewalttätiger Konflikte (Sudan, Äthiopien, Jemen, Myanmar, Ukraine, Israel-Palästina u.a.) in der Welt sei denn auch, so betonte Friederike Krippner, Vorsitzende der Friedenswerkstatt und Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin, in ihrer Einführung, das Bedürfnis evangelischer Christen nach einer intensiveren und zugleich streitbaren Auseinandersetzung mit friedensethischen Fragen erheblich gestiegen, damit zugleich aber auch die Notwendigkeit einer Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Diskussionsstandes in der evangelischen Friedensethik. Eine solche zumindest in Umrissen zu liefern, war der Auftrag an Reiner Anselm, den ersten Referenten der Konsultation, der als Vorsitzender der Redaktionsgruppe Friedensethik und Professor für Systematische Theologie an der LMU in insgesamt vier Schritten Beobachtungen, Anknüpfungspunkte und Herausforderungen im Vorfeld eines neuen EKD-Grundlagenpapiers benannte und dabei grundlegend auf die profilierte Ethiktheorie des Ethikers Johannes Fischer (Zukunft der Ethik, 2022) zurückgriff. Fischer zufolge sind es nicht moralische Urteile, sondern die in Erfahrungen und Erzählungen gegenwärtigen Lebenswelten bzw. „Wirklichkeitspräsenzen“, die dadurch, dass sie Motivationskräfte und Handlungsimpulse freisetzen, menschliches Handeln erst ermöglichen, aufgrund der Vielgestaltigkeit, Pluralität und Uneindeutigkeit der postmodernen Lebenswelt zugleich aber auch zunehmend komplexer und konfliktträchtiger werden. Die Erfahrungen der durch die Ambivalenzen der amerikanischen Weltpolitik (Vietnam usw.) sozialisierten 1968er sind andere als die der ostdeutschen, z.T. noch in der DDR aufgewachsenen Bevölkerung oder die der sogenannten Generation Z, die aufgrund gestiegener Mobilität (z.B. durch gesunkene Flugpreise) und digitaler Vernetzung aus einer völlig anderen Perspektive auf die globalisierte Welt, das Klima oder Migrationsbewegungen blickt als zum Beispiel die Nachkriegsgeneration ein halbes Jahrhundert zuvor. Ihre Anerkennung und Resonanz finden diese Erfahrungen in unterschiedlichsten moral communities, die sich als zunehmend selbständiger agierende generationelle Sozialformen des Protestantismus immer schwerer zu einem übergreifenden evangelischen Konsens bzw. in einer, wie Anselm formulierte, evangelischen moral community zusammenführen lassen. Vor diesem Hintergrund steht die Erstellung einer neuen friedensethischen Denkschrift vor der Herausforderung, bereits im Vorfeld die Diskussion so aufzugleisen, dass partizipative Prozesse eröffnet und die gleichzeitig bestehenden und zugleich höchst unterschiedlichen lebensweltlichen Prägungen in irgendeiner Form abgebildet werden können.

Zur evolutionären Fortschreibung von EKD-Friedensdenkschriften

Hatten die Heidelberger Thesen von 1959 noch versucht, „die verschiedenen, im Dilemma der Atomwaffen getroffenen Gewissensentscheidungen als komplementäres Handeln zu verstehen“ (These VI), sah es die EKD-Denkschrift von 1981 (Frieden wahren, befördern und erneuern) angesichts der weltpolitischen Situation als geboten, „den Vorrang einer umfassenden politischen Sicherung des Friedens vor der militärischen Rüstung wiederzugewinnen“ und begriff zugleich eine jede Kriegshandlung als „das Scheitern von Politik“ (2c). Für eine verstärkte Prüfung und Nutzung der „Leistungsfähigkeit nicht-militärischer Instrumente zur Bewältigung von Konflikten und zur Sicherung des Friedens“ sprachen sich auch die „Schritte auf dem Weg des Friedens“ (EKD 1994) aus, die damit zugleich den Weg zur Friedensdenkschrift von 2007 (Aus Gottes Frieden leben, für gerechten Frieden sorgen) bereiteten: Diesem zentralen Dokument zufolge sei „im heutigen völkerrechtlichen Kontext […] eine rechtmäßige Autorisierung militärischer Zwangsmittel nur als eine Art internationaler Polizeiaktion nach den Regeln der UN-Charta denkbar“ (3.3 [104]). Zudem hätten „die Gründe für die Kritik an der Abschreckungsstrategie deutlich an Gewicht gewonnen“ (3.3.1 [109]). Vor dem Hintergrund des umstrittenen Engagements in Afghanistan sowie des damals aktuellen Einsatzes in Mali sah sich dann die Kundgebung der EKD-Synode von 2019 (Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens) zu einem ausdrücklich pazifistischen Beitrag veranlasst, der mit der zwar indikativisch formulierten, intentional doch performativen Aussage aufhorchen ließ, dass „die Erfahrung“ zeige, „dass Menschen, Gemeinschaften und Staaten in der Lage sind, Probleme und Konflikte in allen Bereichen gesellschaftlichen und politischen Lebens auf konstruktive und gewaltfreie Weise zu bearbeiten“. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Aspekte und Elemente mache es, so Anselm in seiner Umschreibung der an ein neues Grundsatzpapier gestellten Erwartungen, im Horizont der zutiefst unterschiedlich gedeuteten „Zeitenwende“ notwendig, zum einen die von unterschiedlichen Lebenswelten geprägten Erfahrungen neu zu vermessen, zum anderen aber auch die Verständigung auf gemeinsame Grundlagen der Ethik zu befördern. Anselm sah die damit verbundene Herausforderung in einer „evolutionären Fortschreibung früherer Ideen“, dies in Orientierung an den Kriterien der Denkschrift von 2007, die „an dem Nebeneinander von rechtsgebundener und rechtserhaltender Gewalt sowie der begleitenden und unterstützenden Maßnahmen ziviler Friedensarbeit“ festhält und zugleich unterschiedliche Handlungsforen (international, national und zivilgesellschaftlich) benennt. Rückfragen aus dem Plenum bewegten Anselm nochmals dazu, zum einen das Affiziert-werden durch unmittelbare Erfahrungen herauszustellen, die friedensethische Positionierungen steuern und sich, wie Primärorientierungen überhaupt, nur schwer wieder auflösen lassen, zum anderen Denkschriften als Integrationsleistungen zu beschreiben, die nie alle Positionierungen vollumfänglich mit aufzunehmen vermögen: Es gehe nicht um Vollständigkeit, sondern um eine vorläufige, je wieder neu zu justierende Typologie.

Mit einem „ja, und“ den Frieden denken, glauben und erbeten

Die amtierende Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs, plädierte in einem eindrucksvollen Statement zur Konsultation für eine möglichst vollständige Abbildung der Komplexität in der Friedensethik, die nicht nur historisches und theologisches Hintergrundwissen, sondern ein Bewusstsein für biographiegeprägte Haltungen erfordert und sich nicht vor einer weltanschauliche und (inter-)religiöse Kontakte miteinschließenden öffentlichen Auseinandersetzung scheut. Und es brauche in einer politisch aufgeladenen und polarisierten Debatte „Menschen von Besonnenheit, die den Frieden denken, glauben und erbeten“: Als „Anwältin eines gerechten Friedens“ sei die Kirche dazu herausgefordert, mit einem „ja, und“ Dinge zusammenzudenken, gerechtfertigte Selbstverteidigung und zivile Konfliktbearbeitung miteinander zu verbinden und sich vom Leiden der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien berühren zu lassen. Fehrs erinnerte an den nach Jahrzehnten eines brutalen Krieges geschlossenen Westfälischen Frieden, der nur möglich wurde, weil Menschen „mit Geduld, List und Tücke“ Faden für Faden eines komplexen Interessengeflechts einzeln aufdröselten und nach vierjährigen Verhandlungen einen Ausgleich fanden. Damit erinnerte sie zugleich an den Möglichkeitssinn, den es für den langen und immer auch von Rückschlägen gekennzeichneten Weg zum Frieden braucht. Ein neuer friedensethischer Grundlagentext habe sich schließlich mit der Frage zu beschäftigen, was für die evangelische Friedensethik so grundsätzlich ist, dass es Kennzeichen einer solchen bleiben müsse.

Humanitärer Friedensnexus und zivile Konfliktbearbeitung

Eine an die Referate von Anselm und Fehrs anschließende Podiumsdiskussion ging nochmals konkreter der Frage nach der Rolle ziviler Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in Zeiten eskalierender Gewalt nach. Zur Grundlegung führte Christoph Weller, Professor für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Augsburg, in die gegenwärtige Forschung zur zivilen Konfliktbearbeitung ein und stellte dabei zum einen die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen inhaltlichen Differenzen im Konflikt und dem Agieren in der sozialen Situation heraus, zum anderen aber auch die Notwendigkeit der Wahrnehmung der eigenen Rolle als eine die De-/Eskalation eines Konflikts mitbestimmende Konfliktpartei.

In Anknüpfung an diese Grundlegung stellte Elke Löbel, Abteilungsleiterin für Krisenprävention und -bewältigung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die Notwendigkeit heraus, die Ressourcen und Potenziale eines „humanitären Friedensnexus“, der die friedensfördernden Maßnahmen der Bundesregierung bündelt, auszuschöpfen sowie der deutschen Bevölkerung ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, dass sie an den Konflikten in „der Welt da draußen“ immer mit partizipiert und somit selbst in die Verantwortung zu deren Schlichtung gerufen ist. Für den Bereich des zivilgesellschaftlichen Friedensengagements würde dies, so Anja Petz, Geschäftsführerin der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion e.V. (KURVE Wustrow), konkret bedeuten, die große Bandbreite ziviler Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung auch in Friedenszeiten fortwährend weiterzuentwickeln, damit sie im Ernst- bzw. im Konfliktfall dann auch abrufbereit zur Verfügung stehen. Zur Legitimation der auch auf der kommunalen Ebene agierenden Konfliktbearbeitung bedürfe es, wie dies Petz am Beispiel Sudans verdeutlichte, nicht nur einer Förderung dezentraler Strukturen, sondern auch einer Einbeziehung der Entscheidungsträger (Diplomaten, Politiker usw.), die der zivilen Konfliktbearbeitung die nötige Rückendeckung zu geben und die dafür notwendigen Kommunikationskanäle aufrechtzuerhalten vermögen. Dabei gelte es, einem jeglichen Vereindeutigungsdruck zu widerstehen, Widersprüchlichkeiten und Mehrdeutigkeiten auszuhalten und im Bewusstsein dafür, dass es nicht „die einzig richtige moralische Lösung“ gibt, das mit jedem friedensethischen Engagement verbundene Dilemma transparent zu kommunizieren.

(Friedens-)ethische Maßstäbe der Konfliktbearbeitung

Petz‘ Verweis darauf, dass eine jede friedensethische Entscheidung auch die damit verbundenen Nachteile in Kauf nehmen müsse, öffnete den Blick für die ethischen Ressourcen ziviler Konfliktbearbeitung und animierte Weller dazu, deren fundamentale Bedeutung herauszustellen. Denn es sei „alles andere als selbstverständlich, auf welche ethischen Maßstäbe zurückgegriffen wird“. Erst ethische Maßstäbe versetzen, so Weller, dazu in die Lage, aus dem Schwarz-Weiß-Denken auszusteigen, „bunter“ zu denken und dabei zugleich die vielen Grautöne zwischen schwarz-weiß und bunt nicht aus dem Auge zu verlieren. Jochen Cornelius-Bundschuh, Landesbischof i.R. der Evangelischen Landeskirche in Baden, sah das Potenzial evangelischer Friedensethik darin, einen kritischen Blick auf konfliktfördernde Legitimationsmuster und Machtdynamiken zu werfen und die „Friedensbewegung Gottes“ und das kirchliche Friedenshandeln sowohl zu unterscheiden als auch aufeinander zu beziehen. In Anknüpfung an David Grossmans Aussage, „nicht zum Leben mit dem Schwert verdammt“ zu sein, plädierte er dafür, die eigene relationale Perspektive zu relativieren, politische Entscheidungsprozesse zu entschleunigen und die Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung nicht zu gering zu veranschlagen.

Kirchliche Friedensarbeit im vorpolitischen Entscheidungs- und Prägeraum

Roger Mielke, Militärdekan am Zentrum Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz, hatte bereits in einem Debattenbeitrag aus der Militärseelsorge (Das Maß des Möglichen, 2023) für eine wirklichkeitsgesättigte evangelische Friedensethik plädiert, die im weiten Spannungsfeld zwischen den Extrempositionen eine im Horizont der aktuellen Herausforderungen nachvollziehbare friedensethische Orientierung zu geben in der Lage ist. Im Gegenüber zu identitätspolitischen Positionierungen hob er die Bedeutung des „vorpolitischen Entscheidungs- und Prägeraumes“ hervor, der „Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten politischer Entscheidungen“ erheblich mitbeeinflusst und den die kirchliche Friedensarbeit noch stärker bespielen müsse. Dabei gelte es, die Friedensethik als „ein exploratives Begleitinstrument“ zu verstehen, das „politisch tragfähige Lösungen“ zu entwickeln vermag und der impliziten Tendenz zur Schaffung von Narrativen der Verfeindung durch eine theologische Ideologiekritik widersteht.

Republikanisches Ethos und die ultima ratio militärischen Handelns

Im Gegenüber zur zunehmenden Attraktivität postnationaler Konstellationen mahnte Mielke zugleich eine bewusstere Identifikation kirchlicher Akteure mit der (militärische Verteidigung nicht ausschließenden) Staatlichkeit der Bundesrepublik an: „Der harte Kern der politischen Handlungsfähigkeit“ seien noch immer die Nationalstaaten, die „für ein liberales Eintreten von menschlicher Sicherheit und Freiheit stehen“ und zugleich auf ein republikanisches Ethos bzw. auf eine sich als verteidigungswürdig verstehende Gemeinschaft angewiesen sind. Die allein als ultima ratio in den Blick zu nehmende militärische Dimension staatlichen Handelns stehe, so Mielke, im Horizont eines republikanischen Ethos nicht etwa im Widerspruch zur zivilen Konfliktbearbeitung, sondern ihr vielmehr zur Seite. Wenn einer Umfrage zufolge nur noch zehn Prozent der Deutschen im Ernstfall bereit wären, Deutschland mit dem Einsatz des eigenen Lebens zu verteidigen, dann scheint das Maß an Identifikation mit der republikanischen Ordnung in Deutschland – auch dies eine Grundfrage der politischen Ethik – zumindest ausbaufähig. In Reaktion auf den Einwurf eines Teilnehmers, Jesus habe mit seiner Aufforderung, der Gewalt zu widerstehen und „die andere Wange hinzuhalten“, der Anwendung von Gewalt „eindeutig und ausdrücklich“ einen Riegel vorgeschoben, ließ es sich Mielke nicht nehmen, auch die eigene Positionierung mit Rückgriff auf die Bibel zu begründen: Gott habe dem Menschen politische Gestaltungsmacht zur Etablierung einer Ordnung menschlicher Kooperation gegeben, die als ultima ratio die Anwendung legitimer Gewalt nicht von vornherein ausschließe.

Universalistische Ethik und der Instrumentenkoffer der sozialen Verteidigung

Christine Schweitzer, Geschäftsführerin des Bundes für Soziale Verteidigung und Mitarbeiterin am Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung in Hamburg, wollte demgegenüber auch den konsequenten Pazifismus ausdrücklich verantwortungsethisch verstanden wissen und richtete den Blick auf das bislang kaum ausgeschöpfte, Regierung wie Zivilgesellschaft gleichermaßen in die Pflicht nehmende Spektrum gewaltfreier Konflikttransformation. Im Horizont einer an Immanuel Kant orientierten universalistischen Ethik gelte es, nicht erst auf Fenster zur Möglichkeit von Verhandlungen zu warten, sondern diese aktiv zu schaffen und dafür das gesamte Arsenal aus dem „Instrumentenkoffer ziviler Konflikttransformation“ in Anwendung zu bringen. Dafür sei das nach dem zweiten Weltkrieg von einem britischen Militär initiierte Konzept der „sozialen Verteidigung“, das zur Etablierung eines unbewaffneten zivilen Schutzes auf die Präsenz und das aktive Wirken von Friedensfachkräften setzt, weiter auszubauen. In Unterstützung dieses Gedankens betonte Weller angesichts der den Staaten gleichsam „inhärent eingeschriebenen Neigung zur Gewaltlegitimation“ die Notwendigkeit eines kirchlichen Handelns, das sich dieser Neigung ausdrücklich entgegenstellt. Cornelius-Bundschuh hingegen äußerte Verständnis für Mielkes Warnung davor, sich in der Friedensethik allein von identitätspolitischen Beweggründen leiten zu lassen und erzählte vom Besuch einer Delegation der badischen Landeskirche in Nigeria. Die Schilderungen der dortigen, vom Terror der islamistischen Boko Haram betroffenen Christen hätten die Teilnehmer der Delegation mit einer nochmals ganz anderen Welt- und Konfliktwahrnehmung konfrontiert und festgefügte Positionierungen auch in friedensethischen Belangen zumindest ins Wanken gebracht. Ausgeprägter hingegen als in unseren Breitengraden dürfte das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer wehrhaften, auch vor militärischen Mitteln nicht zurückschreckenden Landesverteidigung, dies sei hier ergänzend hinzugefügt, noch in Israel sein. Hätte sich dieses Land, wohlgemerkt die einzige Lebensversicherung der Juden in der Welt, in den letzten 75 Jahren nicht immer wieder selbst wehrhaft gegen seine Gegner verteidigt, wäre es wohl schon längst von der Landkarte verschwunden.

Rüdiger Braun

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Foto Dr. Rüdiger BraunPD Dr. theol. Rüdiger Braun
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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